1. Start-up in der Krise I
Nicht jedes Start-up reüssiert, häufig geht es auch abwärts. Diese Erfahrung machte auch ein Start-up, das ein Onlineportal für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge etablieren wollte. Dazu wurde 2014 die S-GmbH gegründet. Deren Anteile hielt DV zu 100 %, 12 % davon allerdings treuhänderisch für den Investor Dr. H. Dieser finanzierte die S-GmbH mit einer vorgesehenen Laufzeit bis 2017 mit 778.000 EUR. Der erste Jahresabschluss am Ende des Jahres 2014 wies einen Fehlbetrag von 125.000 EUR aus, der zum 31.12.2015 auf 620.000 EUR anstieg. Die Umsätze der S-GmbH beliefen sich 2015 auf 12.000 EUR. Der Geschäftsführer der S-GmbH führte im Januar/Februar 2016 noch Auszahlungen vom Geschäftskonto der S-GmbH per Saldo von ca. 44.000 EUR aus, bevor im Herbst 2016 das Insolvenzverfahren der S-GmbH eröffnet wurde. Der Insolvenzverwalter forderte nun vom Geschäftsführer die Rückzahlung dieser 44.000 EUR, da die S-GmbH bereits am 31.12.2015 überschuldet war (gem. § 64 S. 2 GmbHG a.F., Nachfolgeregelung heute in § 15b Abs. 4 S. 1 InsO). Der Investor Dr. H hatte weder eine Rangrücktrittserklärung für seine Darlehensforderungen noch eine harte Patronatserklärung abgegeben. Somit hätten diese Forderungen in der Bilanz passiviert werden müssen, was die Überschuldung Ende 2015 zur Folge gehabt hätte. Eine positive Fortführungsprognose oder sonstige stille Reserven seien nicht erkennbar gewesen. Dem hielt der Geschäftsführer entgegen, Dr. H hätte erst im September 2016 seinen Willen zur Fortführung verloren.
Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 16.8.2023 – 12 U 59/22) gab dem Insolvenzverwalter Recht: Es berief sich auf die Angaben von Dr. H, dass er das Geschäftsmodell finanzieren wolle, solange er daran glaubt und in der Lage ist, weitere Verluste zu tragen. Aus dieser Aussage konnte nicht abgeleitet werden, dass Dr. H die S-GmbH mit ausreichenden Mitteln ausstatten wollte, um sämtliche Forderungen zu begleichen. Auch die Vertragsformulierungen mit Dr. H, seine Kredite dienten der „Stärkung des Eigenkapitals (...) in der Gründungsphase des Unternehmens (...) als Mezzanine Kapital” lassen die Auslegung, dass ein qualifizierter Rangrücktritt dieser Darlehensforderungen vereinbart werden sollte, nicht zu. Das sind benutzte Schlagworte, die keine rechtlich belastbaren verbindlichen Inhalte eines Rangrücktritts beinhalten. Außerdem enthielten die Verträge Kündigungsklauseln zugunsten Dr. H, aus denen sich ergibt, dass er sich vorbehalten hat, im Falle einer Krise auszusteigen. Der Geschäftsführer hätte daher schon 2015 nicht auf eine sich immer weiter fortsetzende Kreditgewährung durch Dr. H vertrauen dürfen.
Zu der vom Geschäftsführer am 4.3.2016 vorgelegten Finanzplanung war das Gericht der Ansicht, dass sie unrealistisch war. Sie sah allein für 2016 Umsatzsteigerungen von über 1.000 % bei gleichbleibenden Kosten vor. Obwohl das OLG anerkannte, dass die Maßstäbe für eine positive Fortführungsprognose die besonderen Bedürfnisse von Start-up-Unternehmen berücksichtigen müssten, betonte es, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Fortführungsfähigkeit des Unternehmens bei mind. 50 % liegen sollte. Die vom Geschäftsführer vorgelegten Liquiditätsplanungen für die S-GmbH genügten diesen Anforderungen nicht.
Der Geschäftsführer machte weiter geltend, stille Reserven existierten i.H.v. 970.000 EUR durch die Softwareentwicklungsarbeiten. Das OLG hielt die Wertangaben zu den stillen Reserven der Software für aus der Luft gegriffen, der Geschäftsführer hätte hierzu substantiiert vortragen müssen.
2. Start-up in der Krise II
Noch ein solcher Fall aus Düsseldorf: Ein Start-up, dass ein aus der brasilianischen Acai-Frucht hergestelltes Energy-Getränk entwickeln, herstellen und vertreiben wollte, wurde insolvent. Der Insolvenzverwalter warf auch hier dem ehemaligen Geschäftsführer vor, trotz Insolvenzreife noch masseschmälernde Zahlungen von ca. 59.000 EUR geleistet zu haben. Diese verlangte er nun von ihm zurück (§ 64 S. 1 GmbHG a.F., Nachfolgeregelung heute in § 15b Abs. 4 S. 1 InsO). Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 9.2.2022 – 12 U 54/21, ZAP EN-Nr. 529/2022) ging zunächst davon aus, dass das Start-up überschuldet war, sodass eine positive Fortführungsprognose erforderlich war (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO). Dafür ist, wie bereits erwähnt, ein Ertrags- und Finanzplan für einen Prognosezeitraum erforderlich, der belegt, dass das Unternehmen mittelfristig genügend Finanzkraft entwickeln kann, die zur Unternehmensfortführung ausreiche. Hierbei genügt eine mehr als 50 %ige Wahrscheinlichkeit, dass das Start-up im Prognosezeitraum seine Verbindlichkeiten decken kann.
Gerade für Start-Ups bestätigt das OLG, dass bei der Liquiditätsplanung auch Finanzierungszusagen von Investoren berücksichtigt werden können. Das kann selbst dann in Frage kommen, wenn die Zusagen nicht als „harte” Patronatserklärung oder erklärte Rangrücktritte für valutierende Darlehen erfolgen. Auch eine „weiche” Patronatserklärung des Investors ohne verbindlichen Anspruchscharakter kann also für eine positive Fortführungsprognose ausreichen...