Ein Interessenwiderstreit liegt vor, wenn die Interessen der Parteien, die der Anwalt in derselben Rechtssache berät und/oder vertritt, ganz oder teilweise gegensätzlich sind. Umstritten ist, ob dieser Interessengegensatz nach objektiven oder nach subjektiven Kriterien der Mandanten zu ermitteln ist (vgl. hierzu Peitscher, Anwaltsrecht, 3. Aufl. 2021, § 18 Rn 249 ff.). Nach zutreffender h.M. in Literatur und Rechtsprechung, jedenfalls soweit es den Anwaltssenat des BGH betrifft, ist eine konkret-objektive Auslegung vorzunehmen. Es ist also zu prüfen, ob die Interessen der Parteien in der jeweiligen Fallkonstellation grundsätzlich konträr sind, was der Fall ist, wenn der Interessenkonflikt nicht nur abstrakt, sondern nach den Umständen des Einzelfalles auch konkret bestehe (BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ (Brfg) 35/11, AnwBl. 2012, 769). Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass § 43a Abs. 4 BRAO unabdingbar ist, sodass ein gemeinsamer Wille der Parteien unbeachtlich ist (Weyland/Bauckmann, 11. Aufl. 2024, § 43a BRAO Rn 68).
Ein widerstreitendes Interesse liegt inhaltlich vor, wenn die Beratung oder Vertretung in derselben Rechtssache ganz oder teilweise gegenläufig oder widersprüchlich ist, mithin die Verwirklichung des einen Mandanteninteresses unmittelbar zulasten des anderen Mandanteninteresses erfolgt (Kleine-Cosack/Kleine-Cosack, 9. Aufl. 2022, § 43a BRAO Rn 204). Gleichgerichtete Interessen liegen im Unterschied hierzu vor, wenn gleichgelagerte Interessen gegen einen Dritten verfolgt werden, was zulässig ist (Weyland/Bauckmann, 11. Aufl. 2024, § 43a BRAO Rn 69).
Eine Vertretung oder Beratung liegt jedenfalls vor, wenn eine Rechtsangelegenheit dem Rechtsanwalt anvertraut wurde, was keine schriftliche Bevollmächtigung voraussetzt. Allerdings kann dem Rechtsanwalt ein Anvertrauen auch nicht aufgezwungen werden, sodass bloße Mitteilungen nicht ausreichen, sofern der Rechtsanwalt einen Mandatsvertrag unverzüglich zurückweist (OLG Köln, Beschl. v. 25.6.2002 – Ss 266/02, StraFO 2002, 205). Ein Vertragsanbahnungsverhältnis führt grundsätzlich noch zu keinem Tätigkeitsverbot. Ebenfalls irrelevant ist eine private Vorbefassung des Rechtsanwalts oder eine außergerichtliche Gefälligkeit.
Die vor der Neuregelung der BRAO umstrittene Frage der Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf Berufsausübungsgesellschaften oder Bürogemeinschaften ist durch die Neuregelung in § 43a Abs. 4 S. 2 BRAO, § 59d Abs. 2 BRAO obsolet geworden. Das Tätigkeitsverbot für eine Berufsausübungsgesellschaft im Ganzen ergibt sich seitdem aus § 59e Abs. 1 S. 1 BRAO. Nach § 113 Abs. 1 BRAO kann ein berufsrechtlicher Verstoß auch fahrlässig begangen werden, wobei dann i.d.R. eine unzureichende Kollisionskontrolle erfolgt ist (sog. conflict check). Erkennt ein Rechtsanwalt nach Mandatierung eine Interessenkollision, muss er gem. § 3 Abs. 2 BORA seinen Mandanten unterrichten und alle Mandate in dieser Rechtssache beenden. Erfolgt dies nicht, liegt regelmäßig dolus eventualis vor, der zu einer Strafbarkeit nach § 356 StGB führt.