Literaturhinweis:
Neuere Rechtsprechung zum Fahrerlaubnisrecht bei Koehl, NZV 2023, 491. Die Eignung zum Führen von Kfz behandelt Ternig, zfs 2024, 4.
1. „EU-Führerscheintourismus”
Allein die melderechtliche Anmeldung einen Tag vor Ausstellung des Führerscheins ist nicht geeignet, einen Wohnsitzverstoß i.S.d. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV zu belegen, wenn der Betroffene bei der Anmeldung seines Wohnsitzes im Ausstellungsmitgliedstaat seinen beabsichtigten – hier letztlich ein knappes Jahr dauernden – Aufenthalt unbefristet begründete und die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats in Kenntnis der zeitlichen Abläufe einen gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen in jenem Mitgliedstaat an mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr bestätigen (OVG Münster, Beschl. v. 23.6.2023 – 16 A 168/19, NJW 2023, 3735). Für die prüfungsfreie Umschreibung einer kosovarischen in eine deutsche Fahrerlaubnis ist die Annahme, dass der Bewerber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt, gerechtfertigt, wenn aufgrund der vorliegenden Tatsachen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung fehlen könnte (VGH München, Beschl. v. 15.9.2023 – 11 BV 23.937, zfs 2023, 653).
2. Entziehung der Fahrerlaubnis (Schwerpunkt: Alkohol- oder Drogenkonsum)
a) Alkohol
Literaturhinweis:
Zur Überprüfung der Fahreignung bei Alkoholproblematik Koehl, SVR 2024, 81.
b) Cannabis
Nach gesicherter, auf rechtsmedizinischen Untersuchungen beruhender Erkenntnis ist ab einer Konzentration des THC-Metaboliten THC-COOH von 150 ng/ml im Blutserum von einem regelmäßigen Cannabiskonsum auszugehen. Geht es um den Verlust der Fahreignung durch die Einnahme von Betäubungsmitteln i.S.d. BtMG (regelmäßige Einnahme von Cannabis) gem. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, müssen sich die zur Begründung eines Ausnahmefalls vorgetragenen Gründe auf eine vom Regelfall abweichende Wirkung der regelmäßigen Einnahme von Cannabis auf die Fahreignung beziehen. Bei einer sog. spontanen Blutabnahme liegt ab einem THC-COOH-Wert von 150 ng/ml ein regelmäßiger Cannabiskonsum vor, d.h. der Betreffende nimmt die Droge täglich bzw. nahezu täglich ein, was dessen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Folge hat (OVG Magdeburg, Beschl. v. 17.8.2023 – 3 M 57/23, DAR 2023, 640). Die Anwendung des Arzneimittelprivilegs (vgl. Nr. 9.6 der Anlage 4 der FeV) kommt bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis nur in Betracht, wenn für den Einsatz von Medizinal-Cannabis eine Indikation nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besteht oder die Verschreibung zumindest ärztlich vertretbar sowie dessen Verabreichung zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich (ultima ratio) ist. Für die Beurteilung, ob die Behandlung mit Medizinal-Cannabis dem ultima-ratio-Grundsatz genügt, kann auf die hierzu in der Rspr. des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R, NJW 2023, 2217) entwickelten Maßstäbe zurückgegriffen werden. Wird im Straßenverkehr ein drogentypischer Fahrfehler begangen und dabei ein THC-Wert festgestellt, der um ein Vielfaches den Wert von 1,0 ng/ml übersteigt, bei dem für die nicht vom Arzneimittelprivileg umfasste gelegentliche Einnahme von Cannabis eine betäubungsmittelbedingte Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausgeschlossen werden kann, begründet dies Zweifel, ob bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kfz unter das erforderliche Maß beeinträchtigt wird (VGH Mannheim, Urt. v. 27.9.2023 – 13 S 517.23, DAR 2024, 38 m. Anm. Koehl = zfs 2024, 53).
Literaturhinweis:
Zu Medizinal-Cannabis im Straßenverkehr Deutscher, VRR 3/2024, 5.
c) Sonstige Gründe für Eignungszweifel
Leidet ein Fahrerlaubnisinhaber unter Herzrhythmusstörungen, die anfallsweise zu wiederholter Unterbrechung der Blutversorgung des Gehirns und damit zu Synkopen führen, ist er aus medizinischer Sicht nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kfz der Gruppen 1 und 2 gerecht zu werden (VGH München, Beschl. v. 14.6.2023 – 11 CS 22.2675, NZV 2023, 527 [Pießkalla]). Ein Suizidversuch in Verbindung mit stationären Einweisungen ist geeignet, die Fahreignung in Frage zu stellen (VGH München, Beschl. v. 3.7.2023 – 11 CS 23.81, NZV 2024, 151 [Pießkalla]). Hinreichende psychische Leistungsfähigkeit ist insb. anzunehmen, wenn der Betroffene in einer Fahrverhaltensprobe nachweisen kann, dass die in der (ungewohnten) Testsituation festgestellten Minderleistungen sich auf das gelernte Fahrverhalten nicht negativ auswirken (VGH München, Beschl. v. 11.12.2023 – 11 CS 23.1577, zfs 2024, 115).
d) Verfahrensfragen (insb. Gutachtenanordnung)
Die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nach § 13 S. 1 Nr. 2c FeV setzt keine Fahrt mit einem Kfz voraus. Vielmehr genügt die Fahrt mit jedem Fahrzeug, mithin auch mit einem Fahrrad (VGH München, Beschl. v. 22.1.2024 – 11 AS 23.2111, zfs 2024, 173 = SVR 2024, 117 [Koehl]; NZV 2023, 528 [Pießkalla]). Ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines MPU-Gutachtens gegenüber einer Person an, die gelegentlich Cannabis konsumiert und gegen das Trennungsgebot verstoßen hat, darf die Begutachtungsstelle die Erstellung eines positiven Gutachtens nich...