I. Allgemeines
Die Geschwindigkeitsüberschreitung ist in der Praxis sicherlich eine der häufigsten, wenn nicht die häufigste Verkehrsordnungswidrigkeit. Eine große Zahl der bei den Amtsgerichten und auch bei den Obergerichten anhängigen Rechtsbeschwerdeverfahren betreffen daher Geschwindigkeitsüberschreitungen. Für den Betroffenen sind sie deshalb von so großer Bedeutung, weil er schnell in den Bereich fährt, in dem ein Fahrverbot verhängt werden kann. Das gilt besonders, nachdem die Kommunen vermehrt zur Einrichtung sog. Tempo-30-Zonen übergehen. Dort wird dann häufig um mehr als 31 km/h zu schnell gefahren, so dass sich der Betroffene dann innerorts in dem Bereich befindet, in dem ein Fahrverbot verhängt werden kann. Außerorts muss für die Anordnung eines Fahrverbots zwar die Geschwindigkeit um mindestens 41 km/h überschritten sein. Aber auch dieser Bereich ist bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h schnell erreicht.
Praxishinweis:
Wegen dieser besonderen Bedeutung der Geschwindigkeitsüberschreitung ist es besondere Aufgabe des Verteidigers, auf "Schwach- bzw. Angriffspunkte" im tatrichterlichen Urteil des Amtsrichters zu achten. Auf den einen oder anderen Punkt, auf den der Verteidiger besonders achten muss, will dieser Beitrag hinweisen. Dabei wird ein "Prüfungsschema" eingehalten, das der Verfasser auch als Rechtsbeschwerderichter verwendet hat. Mit einer Aufhebung des Urteils durch das OLG entgeht der Betroffene zwar möglicherweise nicht endgültig der Verurteilung wegen der ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung. Aufhebung und Zurückverweisung führen jedoch dazu, dass zwischen Tat und endgültiger Verurteilung eine ggf. so lange Zeitspanne liegt, dass möglicherweise schon deshalb kein Fahrverbot mehr verhängt werden kann (vgl. dazu auch Deutscher in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2014, Rn. 1444 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter, OWi]; s.a. Burhoff VA 2014, 214; Krumm NJW 2004, 1627 und NZV 2005, 449; aus der Rechtsprechung z.B. KG VRS 113, 69; OLG Bamberg zfs 2008, 469 = VA 2008, 194; OLG Düsseldorf DAR 2005, 164 f.; OLG Hamm DAR 2004, 106; zfs 2009, 470; VRR 2012, 231 = DAR 2012, 340; OLG Jena NZV 2008, 165 = zfs 2008, 411; OLG Karlsruhe DAR 2005, 168; OLG Oldenburg VRR 2011, 434 = VA 2011, 209 = DAR 2011, 649 = NZV 2011, 564; OLG Schleswig SchlHA 2005, 334; OLG Hamm DAR 2000, 580).
II. Zulässigkeit von Videomessungen
Das BVerfG hatte am 11.8.2009 im Verfahren 2 BvR 941/08 zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Videomessungen im Straßenverkehr Stellung genommen (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293 = VA 2009, 172 = VRR 2009, 355 = StRR 2009, 356 = zfs 2009, 589). Selten hat eine verfassungsgerichtliche Entscheidung im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren so viel Aufmerksamkeit erregt wie dieser Beschluss des BVerfG. Nach dieser Entscheidung des BVerfG sind (auch im Straßenverkehr) verdachtsunabhängige Videomessungen unzulässig und bedürfen einer Ermächtigungsgrundlage. Die Obergerichte haben die Vorgaben des BVerfG sehr bald übernommen und waren sich alsbald einig, dass als Ermächtigungsgrundlage § 100h StPO herangezogen werden kann (vgl. dazu grundlegend OLG Bamberg NJW 2010, 100 = VRR 2009, 468 = StRR 2009, 475 = DAR 2010, 26 = zfs 2010, 50; vgl. i.Ü. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 3. Aufl. 2013, Teil 3 Rn. 22; Burhoff/Gieg, OWi, Rn. 707 ff. und Burhoff/Burhoff, OWi, Rn. 707 ff.; Burhoff VRR 2010, 93; Gieg VRR 2010, 191 in der Anm. zu OLG Bamberg DAR 2010, 279 = VRR 2010, 190; sowie Rausch zfs 2010, 302 und 547). Dies ist vom BVerfG aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht beanstandet worden (vgl. VRR 2010, 312 = StRR 2010, 315 = VA 2010, 154; VRR 2010, 394 = VA 2010, 172 = StRR 2010, 395). Inzwischen hat das BVerfG auch zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes Stellung genommen und dessen Annahme in den Fällen einer unzulässigen Messung als eher fernliegend angesehen (BVerfG VRR 2011, 273 = StRR 2011, 274 = VA 2011, 136 = DAR 2011, 457). Das führt dazu, dass die Fragen in der Rechtsprechung derzeit kaum noch eine Rolle spielen (vgl. aber z.B. AG Baden-Baden, Urt. v. 25.10.2011 – 17 OWi 306 Js 15109/10 und dazu OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.5.2012 – 1 [3] SsBs 8/12 – AK 9/12).
III. Unterschiedliche Messverfahren
1. Technische Messverfahren
a) Allgemeine Fragen
Für die Feststellung von Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr werden in der Praxis derzeit folgende Geschwindigkeitsmessverfahren verwendet (vgl. eingehend Burhoff/M. Grün/Böttger, OWi, Rn. 1911 ff. m.w.N.):
- Radarmessverfahren,
- Lasermessverfahren,
- Lichtschrankenverfahren,
- Messverfahren mit zumeist piezoelektrischen oder seltener faseroptischen Sensoren,
- Induktionsschleifenmessverfahren,
- Verkehrsvideoanlagen,
- Videostoppuhren und Verkehrs-Kontrollsysteme.
Bei diesen Verfahren handelt es sich um technische Geschwindigkeitsmessverfahren, die unter Einsatz verschiedener Geschwindigkeitsmessgeräte ausgeführt werden.
Hinweis:
Auf die Darstellung aller einzelner in der Praxis verwendeten Messgeräte kann hier aus Platzgründen nicht ei...