Was lernt man in allererster Linie als angehender Jurist in der Referendarausbildung? Richtig – die Abfassung von Gutachten und Urteilen. Daran hat sich wohl ein Rechtsanwalt erinnert, als ihn ein Mandant bedrängte, ein arbeitsgerichtliches Urteil zu erstreiten. Als dessen Nachfragen zu lästig wurden, schrieb der Kollege das Urteil einfach selber und übergab es dem Mandanten. Eine Urkundenfälschung war dies nicht, befand jetzt das OLG Hamm (Az. 1 RVs 18/16) und sprach ihn in letzter Instanz rechtskräftig frei. Eine auf den ersten Blick überraschende Entscheidung. Eröffnen sich hier für überarbeitete oder arbeitsscheue Kollegen ganz neue Perspektiven? Wohl eher nicht, wenn man sich den Fall näher anschaut.
Der Kollege hatte ein arbeitsrechtliches Mandat mit dem Auftrag angenommen, ausstehenden Lohn einzuklagen. Warum er dann – außer einem offenbar fruchtlosen Forderungsschreiben an die Arbeitgeberin des Mandanten – keine weiteren Aktivitäten entfaltete, ist unbekannt. Vielleicht war er komplett überlastet, vielleicht zählt er auch zur Spezies der ständigen Aufschieber, im psychologischen Fachjargon "Prokrastinierer" genannt. Jedenfalls reagierte er auch nach mehreren Erkundigungen des Klienten nach dem Stand der Angelegenheit nicht mit erhöhtem Arbeitseifer, sondern erfand immer neue Ausreden. Zum Schluss behauptete er, der Prozess sei gewonnen, lediglich die Vollstreckung verzögere sich. Als der Mandant jedoch eines Tages persönlich in der Kanzlei vorstellig wurde und auf Herausgabe einer Urteilskopie drängte, wurde es ernst: Der Mandant wurde auf den nächsten Tag vertröstet und schnell ein – fiktives – Urteil samt Gerichtswappen im Computer zusammengebastelt. Den Mandanten konnte der Kollege damit überzeugen, nicht jedoch das Arbeitsgericht in Hamm, bei dem dieser kurz darauf eine beglaubigte Abschrift beantragte.
Man fand sich später vor dem Strafrichter in Dortmund wieder zusammen. Dieser bewertete das Handeln des Rechtsanwalts als Urkundenfälschung und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe i.H.v. 3.900 EUR. Für eine Verurteilung zusätzlich wegen Betruges fehlte es dem Richter an dem Nachweis eines Vorsatzes und auch an einem Schaden des Mandanten; dieser hätte ja durchaus den ausstehenden Lohn weiter einklagen können.
Vor dem OLG Hamm hatte aber auch die Verurteilung des Anwalts wegen Urkundenfälschung keinen Bestand. Der Rechtsanwalt habe keine "unechte Urkunde" i.S.d. § 267 StGB hergestellt, fand der Senat. Eine sog. einfache Abschrift gebe nämlich lediglich wieder, was – vermeintlich – in einem anderen Schriftstück stehe. Sie selbst sei also gar keine Urkunde im strafrechtlichen Sinne.
Der Beschluss des Strafsenats ist rechtskräftig. Strafrechtlich ist das Täuschungsmanöver des Kollegen also ohne Konsequenzen geblieben. Zur Nachahmung ist es dennoch keinesfalls zu empfehlen: Die Rechtsanwaltskammern als Aufsichtsorgane dürften solche "Do-it-yourself-Rechtsprechung" in berufsrechtlicher Hinsicht äußerst kritisch sehen.
[Red.]
ZAP 12/2016, S. 606 – 612