Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur die Frage, ob sich § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO auf alle gegen einen Beschuldigten geführte Verfahren bezieht, ohne dass es darauf ankommt, in welchem der Verfahren U-Haft vollstreckt wird, oder ob es nur in dem Verfahren gilt, in dem die U-Haft vollzogen wird. Die wohl h.M. geht unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung zutreffend davon aus, dass die Vorschrift auch für andere Verfahren, in denen gegen den inhaftierten Beschuldigten U-Haft vollstreckt wird, gilt (OLG Frankfurt StV 2011, 218 m. zust. Anm. Burhoff StRR 2011, 23; OLG Hamm StV 2014, 274; LG Frankfurt/M. StV 2013, 19 [Ls.]; LG Heilbronn StV 2011, 222; LG Itzehoe StV 2010, 562; LG Köln NStZ 2011, 56; LG Nürnberg-Fürth StV 2012, 658; LG Stade StV 2011, 663 [Ls.]; LG Trier StRR 2015, 347; einschränkend LG Bonn NStZ-RR 2012, 15 m. zust. Anm. Heydenreich StRR 2012, 103 [nur, wenn in dem anderen Verfahren gegen den Beschuldigten auch tatsächlich ermittelt wird]; ähnlich LG Halle, Beschl. v. 18.1.2016 – 3 Qs 2/16); Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 14; Brocke/Heller StraFo 2011, 1, 8; Jahn a.a.O., S. 275, 282; vgl. auch Wohlers StV 2010, 151, 152). Die Gegenmeinung verweist u.a. auf die unberührt gebliebene Regelung des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO, woraus folge, dass § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO nicht für alle Fälle von U-Haft gelte (vgl. LG Oldenburg ZJJ 2011, 461; LG Saarbrücken StRR 2010, 308; Busch NStZ 2011, 663; Peters/Krawinkel StRR 2011, 4). Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Regelung, möglichst frühzeitig in den Fällen der U-Haft die ordnungsgemäße Verteidigung des Beschuldigten sicherzustellen (vgl. dazu BT-Drucks 16/13097, S. 19), ist der h.M. der Vorzug zu geben (s. auch Burhoff StRR 2011, 448, 449). Denn das Argument gilt auch, wenn U-Haft in einem anderen Verfahren vollzogen wird. Auch dann sind die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten eingeschränkt (s. auch Brocke/Heller a.a.O.; D. Herrmann StraFo 2011, 133, 136).
Hinweis:
Unabhängig von der Frage, ob nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO beigeordnet werden muss, wird sich in den Fällen immer (auch) die Frage stellen, ob nicht ein Pflichtverteidiger nach den "allgemeinen" Gründen des § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen ist, so z.B. wegen der Schwere der Tat oder wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung (Burhoff, EV, Rn 2871 ff.; Rn 2901 ff.).