a) Zeitlicher Anwendungsbereich
§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO i.V.m. § 141 Abs. 3 S. 4 StPO sieht vor, dass dem Beschuldigten nach Beginn der Vollstreckung von U-Haft gem. §§ 112, 112a StPO oder einstweiliger Unterbringung gem. §§ 126a, 275 Abs. 5 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. Die Regelung über den Zeitpunkt für die Bestellung ist in § 141 Abs. 3 S. 4 StPO enthalten. Obwohl § 141 Abs. 3 StPO regelt, wann im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger bestellt werden kann, gilt die Vorschrift für das gesamte Verfahren und nicht etwa nur für Ermittlungsverfahren. Dort liegt zwar ihr überwiegender Anwendungsbereich. Die Vorschrift gilt darüber hinaus aber auch in allen andern Fällen, in denen im Strafverfahren U-Haft vollstreckt wird, also auch, wenn der Beschuldigte sich nicht von Anfang an in U-Haft befunden hat, sondern es erst im Laufe des Verfahrens zur Inhaftierung kommt. Sie gilt auch, wenn der Beschuldigte im Verlauf der Hauptverhandlung oder an deren Ende inhaftiert wird. Sie findet auch nicht nur bei "erstmaliger U-Haft" Anwendung, sondern auch dann (wieder), wenn der Beschuldigte nach zwischenzeitlicher Haftentlassung später (wieder) inhaftiert wird (OLG Düsseldorf NJW 2011, 1618 = StraFo 2011, 275 = StRR 2011, 265 m. Anm. Burhoff, wonach dann auf einen entsprechenden Antrag ein sich ggf. inzwischen gemeldeter Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen ist). Sie ist schließlich auch noch anzuwenden, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen für eine Beiordnung vorlagen und die Entscheidung über eine Beiordnung aber aus gerichtsinternen Gründen unterblieben ist (LG Frankfurt/M. StV 2013, 19 [Ls.]; kein Fall der unzulässigen rückwirkenden Beiordnung]).
b) Tatsächliche Vollstreckung
Voraussetzung für die Anwendung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist, dass der Freiheitsentzug "vollstreckt wird". Wird ein Haftbefehl also bei der Vorführung des Beschuldigten (s. hierzu Burhoff, EV, Rn 4280), zugleich mit der Verkündung nach § 116 StPO außer Vollzug gesetzt, kommt eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO (noch) nicht in Betracht (OLG Hamm StV 2014, 274; Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 14; Jahn, a.a.O., S. 275, 281; ders. StraFo 2014, 177, 181; Wohlers StV 2010, 151, 152).
Hinweis:
In dem Fall wird sich dann aber immer die Frage stellen, ob nicht aus anderen Gründen des § 140 StPO dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger – auch schon im Ermittlungsverfahren – beigeordnet werden muss.
Auch im Fall der vorläufigen Festnahme (§ 127 StPO; dazu Burhoff, EV, Rn 4342) wird der Haftbefehl zunächst noch nicht vollstreckt. Das hat zur Folge, dass nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 3 S. 4 StPO – " ... nach Beginn ... " – noch kein Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO bestellt werden muss (BGHSt 60, 38 = NJW 2015, 265 = StRR 2015, 23 m. Anm. Deutscher; s. wohl auch Jahn, a.a.O. m.w.N. in Fn 32; Laufhütte/Willnow in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 141 Rn 11; Radke/Hohmann/Reinhart, StPO, § 141 Rn 4; krit. Wohlers StV 2010, 151, 153 m.w.N. in Fn 31 zu den insoweit krit. Stimmen in der Anhörung des Gesetzgebungsverfahrens; a.A. Deckers StraFo 2009, 441, 443; D. Herrmann StraFo 2011, 133; 136 f.; ders. StV 2011, 652, 653; vgl. auch noch Heydenreich StraFo 2011, 263, 267).
c) Unverzügliche Bestellung
Der Pflichtverteidiger ist nach § 141 Abs. 3 S. 4 StPO "unverzüglich" zu bestellen. Das bedeutet nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB grundsätzlich, dass der Pflichtverteidiger "ohne schuldhaftes Zögern" beigeordnet werden muss (vgl. dazu Heydenreich StraFo 2011, 263, 264; D. Herrmann StraFo 2011, 133, 136 f.; Jahn, a.a.O., S. 275, 288; ders. StraFo 2014, 177, 182, 184; Lammer AnwBl. 2013, 325). Entscheidend für die Unverzüglichkeit ist nicht die objektive, sondern die subjektive Zumutbarkeit des alsbaldigen Handelns für das zuständige Gericht. Nicht erforderlich ist, dass die Bestellung sofort vorgenommen wird (s.a. BT-Drucks 16/13097, S. 28; OLG Düsseldorf StV 2010, 350 = StRR 2010, 222 m. Anm. Burhoff; LG Stendal StV 2015, 543; vgl. auch noch Heydenreich StraFo 2011, 263, 267 ["Verteidiger der ersten Stunde"]; Jahn StraFo 2014, 177, 184). Vielmehr ist dem Gericht nach der Verkündung des Haftbefehls – soweit dieser nicht gleichzeitig außer Vollzug gesetzt wird – "ein gewisser zeitlicher Spielraum bis zur Bestellung zugebilligt" worden (BT-Drucks 16/13097, S. 28; Jahn a.a.O.: LG Stendal a.a.O.). Dies dürfte auch im Interesse des Beschuldigten liegen. Denn nicht immer wird ein von dem Beschuldigten gewünschter (§ 142 Abs. 2 S. 1 StPO) Verteidiger unmittelbar erreichbar und auch bereit bzw. in der Lage sein, die Verteidigung zu übernehmen. Das gilt insbesondere bei Verkündung des Haftbefehls am Wochenende (vgl. dazu Salinksi StV 2008, 500). In den Fällen nützt es dem Beschuldigten wenig, wenn ihm ein "bereiter Verteidiger" vom Gericht beigeordnet/aufgezwungen wird und er später, wenn er den "Verteidiger des Vertrauens" gefunden hat, um die Entpflichtung des zunächst beigeordneten Rechtsanwalts kämpfen muss (D. Herrmann StraFo 2011, 133, 137; vgl. z...