Die Eröffnung eines universell wirkenden Insolvenzverfahrens durch Gerichte von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft hängt davon ab, dass der Schuldner den "Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen" (center of main interests – COMI) im Staat der Verfahrenseröffnung hat (Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO). Die bis zum 26.6.2017 geltende Fassung der EuInsVO enthält keine Definition des COMI. Eine gesetzliche Hilfestellung bietet allein Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO a.F., in dem eine Vermutung in Bezug auf juristische Personen niedergelegt ist (Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, 2011, S. 73). In ihrem Bericht vom 12.12.2012 war die Kommission insoweit zu der Feststellung gelangt, dass sich die Anwendung des Kriteriums "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen" in der Praxis als schwierig erwiesen habe. An den Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung wurde kritisiert, dass sie es Unternehmen und natürlichen Personen nicht verwehren, den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen missbräuchlich zu verlegen und damit das für sie günstigere Recht zur Anwendung zu bringen. Diese Kritik greift die Neufassung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auf, indem sie in Satz 2 eine knappe Definition des center of main interests ("der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist") enthält.
Hinweis:
Damit hat der Gesetzgeber die vom EuGH in seiner grundlegenden Eurofood-Entscheidung (ZIP 2006, 907) herangezogenen Kernmerkmale zur Grundlage seiner Gesetzesänderung gemacht (Kindler KTS 2014, 25, 30). Ob damit die Gefahr der manipulativen Verlagerung oder gar Simulation des COMI geringer geworden ist, bleibt abzuwarten (skeptisch Kindler KTS 2014, 25, 39).
1. Vermeidung von betrügerischem oder unerwünschtem forum shopping
Nach wie vor widerlegbar ist die Annahme, dass der Sitz, die Hauptniederlassung und bei natürlichen Personen der gewöhnliche Aufenthalt jeweils der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist (Art. 3 Abs. 1 S. 3 EuInsVO). Die Vermutung muss jedoch durch hinreichende Anhaltspunkte entkräftet werden. Kann der Interessenmittelpunkt in einem anderen Mitgliedstaat nicht hinreichend sicher festgestellt werden, gibt der satzungsmäßige Sitz den Ausschlag (EuGH [Eurofood] ZIP 2006, 2006 Rn 31 ff.; EuGH [Interedil] ZIP 2011, 2153). Als relevante, für Dritte erkennbare Umstände, die auf einen abweichenden Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen hindeuten, können etwa außerhalb des satzungsmäßigen Sitzes belegene Immobilien sprechen, für die Mietverträge abgeschlossen sind und die mit Hilfe eines im dortigen Mitgliedstaat ansässigen Kreditinstituts finanziert wurden (EuGH [Interedil] ZIP 2011, 2153 Rn 53; HK/Stephan, InsO, Art. 3 EuInsVO Rn 14).
Zur Verhinderung betrügerischen oder missbräuchlichen forum shoppings gilt die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 3 EuInsVO indes nicht, wenn – im Falle einer Gesellschaft, einer juristischen Person oder einer natürlichen Person, die eine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt – der Schuldner seinen Sitz oder seine Hauptniederlassung in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt oder – im Falle einer natürlichen Person, die keine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt – diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Zeitraum von sechs Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung verlegt hat (Art. 3 Abs. 1 S. 4 EuInsVO).
Praxishinweis:
Für Gerichte bedeutet diese Ergänzung des Art. 3 EuInsVO, dass bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte unter Umständen umfangreiche Ermittlungen anzustellen sind.
2. Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen
Art. 4 Abs. 1 EuInsVO normiert zur Vermeidung unerwünschten forum shoppings (s. Erwägungsgrund Nr. 29 EuInsVO) eine Verpflichtung der Gerichte zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen (Erwägungsgrund Nr. 30 S. 1 EuInsVO mahnt eine "sorgfältige Prüfung" an). Dies bedeutet indes noch nicht eine Ermittlung von Amts wegen (BGH ZIP 2012, 139 Rn 10). Vielmehr hat der Antragsteller, um die Prüfung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu ermöglichen und somit seinen Antrag zulässig zu machen, alle die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründenden Tatsachen anzugeben (AG Köln NZI 2006, 67; Hamburger Kommentar/Undritz, Art. 3 EuInsVO Rn 55 ff.). Da die Verordnung bei juristischen Personen und Gesellschaften den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen am Satzungssitz vermutet, darf das angerufene Gericht zunächst von seiner internationalen Zuständigkeit ausgehen, solange sich aus dem Vortrag des Antragstellers nicht etwas anderes ergibt (BGH ZIP 2012, 139 Rn 12; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3 Rn 25; Vallender/Fuchs ZIP 2004, 829, 831).
Praxishinweis:
Weist ein Insolvenzverfahren einen grenzüberschreitenden Bezug auf, weil z.B. Vermögenswerte des Schuldners im Ausland belegen sind, sollten sämtliche die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründenden Umstände bereits bei Antrags...