Kapitel V der Verordnung enthält erstmals Regelungen zur Abwicklung von Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe. Trotz des Schweigens der bis 26.6.2017 geltenden EuInsVO zu Konzernsachverhalten ist die Insolvenz von europaweit tätigen Konzernen Realität, mit der sich die Geschäftsführer oder Vorstände der insolventen Gesellschaften, Gläubiger, Berater, Gerichte und Verwalter auseinanderzusetzen haben. Für die Eröffnung oder Verbindung von Insolvenzverfahren gegen einen Unternehmensträger, der einem Konzern angehört, gilt nach alter Rechtslage die allgemeine Regelung, dass für jeden betroffenen Schuldner mit eigener Rechtspersönlichkeit die Zuständigkeit nach der EuInsVO zu prüfen ist. Zu einem einheitlichen Konzerngerichtsstand am Sitz der Muttergesellschaft gelangt man nur dann, wenn alle Tochtergesellschaften dort den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen haben.
1. Ziel und Konzept der neuen Bestimmungen
Ziel der Regelungen des neu eingeführten Kapitels V ist es, dass Insolvenzverfahren über das Vermögen verschiedener Gesellschaften, die einer Unternehmensgruppe angehören, effizient geführt werden (Erwägungsgrund Nr. 52). Mit der Einführung eines Koordinationsverfahren (Art. 61 ff. EuInsVO) will der Verordnungsgeber eine stärkere Zusammenarbeit als die bloße Koordinierung der Verfahren erreichen. Dazu tragen auch die Vorschriften zur Kommunikation und Kooperation bei, die Handlungsanweisungen über das Wie der Zusammenarbeit liefern.
Eine Zusammenfassung der Insolvenzmassen (Konzept der materiellen Konsolidierung, näher dazu: Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, 2011, S. 208 ff.) wird es auch in der ab 26.6.2017 geltenden EuInsVO nicht geben. Dementsprechend sieht Art. 72 Abs. 3 EuInsVO vor, dass ein Gruppen-Koordinationsplan keine Empfehlungen zur Konsolidierung von Verfahren oder Insolvenzmassen enthalten darf. Damit hat der Gedanke einer Einheitstheorie, nach der die wirtschaftliche Einheit des Konzerns auch eine rechtliche sein sollte, keinen Eingang in das europäische Insolvenzrecht gefunden. Es bleibt bei der Verfahrenseigenständigkeit und Rechtsträgerzuordnung und damit bei der Pluralität von Insolvenzverfahren über die Vermögen einzelner konzernierter Gesellschaften. Darüber hinaus hat sich der Verordnungsgeber gegen einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand entschieden.
2. Definition der Unternehmensgruppe
Welche Gesellschaften vom Regelungsgehalt des Kapitels V "Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe" erfasst sind, bestimmt Art. 2 Nr. 13 EuInsVO. Zur Unternehmensgruppe zählen ein Mutterunternehmen und alle seine Tochterunternehmen. Art. 2 Nr. 14 EuInsVO definiert wiederum das Mutterunternehmen. Dabei handelt es sich um ein Unternehmen, das ein oder mehrere Tochterunternehmen unmittelbar oder mittelbar kontrolliert. Eine Definition des Tochterunternehmens findet sich in der Verordnung nicht.
3. Verfahrensrechtliche Behandlung
a) Kooperations- und Kommunikationspflichten
Erwartungsgemäß ist das Europaparlament den von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen zu den Kooperations- und Kommunikationspflichten von Verwaltern (Art. 56 EuInsVO) und Insolvenzgerichten (Art. 57 EuInsVO) gefolgt. Dies ist zu begrüßen. Die neuen Regelungen werden allein schon wegen des Haftungsrisikos, das Verwalter eingehen, die sich der gebotenen Koordinierung von Verfahren zu entziehen versuchen, dazu beitragen, dass Konzerninsolvenzen in Zukunft einem dem Gesamtinteresse dienenden Ziel zugeführt werden können (Vallender ZInsO 2015, 57, 62). Besonderes Gewicht ist dabei den Informationspflichten (Art. 56 Abs. 2 lit. a EuInsVO) beizumessen: Sie können zur Vermeidung von Parallelverfahren beitragen. Ihre Bewährungsprobe wird die Regelung des Art. 56 EuInsVO insbesondere im Zusammenhang mit der in Art. 60 Abs. 1 lit. b EuInsVO vorgesehenen Antragsbefugnis auf Aussetzung von Verwertungsmaßnahmen bei beabsichtigter Sanierung mittels Plan zu bestehen haben. Gefordert sind aber nicht nur die Verwalter, sondern vor allem die Gerichte, denn die Regelung des Art. 60 Abs. 2 S. 1 EuInsVO verlangt, dass sich das Gericht vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen überzeugt hat. Gefordert ist wirtschaftlicher Sachverstand, der nicht ohne Weiteres vorauszusetzen ist und unter Umständen die Einschaltung von Sachverständigen nahelegen wird.
b) Einführung eines Koordinationsverfahrens
Das in Art. 61 ff. EuInsVO geregelte Koordinationsverfahren soll die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine engere Koordinierung der Einzelverfahren schaffen. Antragsbefugt ist jeder Verwalter, der in einem Verfahren über das Vermögen eines Mitglieds der Unternehmensgruppe bestellt wurde. Der Antrag kann bei jedem Gericht gestellt werden, bei dem ein Insolvenzverfahren über ein Mitglied der Unternehmensgruppe anhängig ist (Art. 61 Abs. 1 EuInsVO). Bei mehreren Anträgen ist der zuerst eingegangene Antrag maßgebend (Art. 62 EuInsVO). Art. 63 EuInsVO sieht eine Mitteilungspflicht des mit dem Antrag befassten Gerichts vor. Art. 66 EuInsVO enthält für das internationale Insolvenzrecht ein Novum: Nach dieser Bestimmung können sich mindestens zwei Drittel aller Verwalter, die f...