Der Zehnte Senat des BAG hatte erstmalig zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) i.S.v. § 84 Abs. 2 SGB IX als Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung zu entscheiden. Der Senat hat den Charakter einer formellen oder unmittelbaren materiellen Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Versetzung oder einer anderen Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber verneint. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung des Arbeitgebers (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen (BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 47/17, NZA 2018, 162). Er hat jedoch die Bedeutung des BEM für die Interessenabwägung gestärkt.
Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger ist seit 1991 bei der Beklagten beschäftigt – seit 2005 durchgehend in der Nachtschicht. Ab 2013 war der Kläger an mindestens 35 Arbeitstagen im Jahr arbeitsunfähig. Mitte März 2015 fand ein Krankenrückkehrgespräch statt. Dieses war von der Beklagten nicht als Maßnahme des BEM beabsichtigt und/oder ausgestaltet. Zudem hatte die Beklagte nicht die Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Zur Vermeidung betrieblicher Störungen und weiterer Fehltage ordnete sie an, dass der Kläger zukünftig in der Wechselschicht beschäftigt werden sollte. Der Kläger war der Auffassung, die Anordnung sei bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte vor der Maßnahme kein BEM durchgeführt habe. Im Übrigen entspreche sie nicht billigem Ermessen i.S.v. § 106 GewO, § 315 BGB. Die Beklagte meinte, eine Dauernachtschicht sei generell gesundheitlich belastender als jede andere Arbeitszeit. Deshalb habe sie mit der Versetzung prüfen dürfen, ob sich die gesundheitliche Situation des Klägers bei einem Einsatz in der Wechselschicht verbessere.
Während das ArbG die auf Beschäftigung in der Nachtschicht gerichtete Klage abwies, gab das LAG ihr – gestützt auf das fehlende BEM als Wirksamkeitsvoraussetzung – statt. Dem folgt der Zehnte Senat des BAG nicht und hat auf die Revision der Arbeitgeberin das Urteil aufgehoben und an das LAG zurückverwiesen. Das BAG stellt klar, dass die Durchführung eines BEM keine formelle Voraussetzung einer Versetzung ist, wie das LAG dies annahm. Entscheidend sei vielmehr, ob die Weisung des Arbeitgebers unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls erfolgt sei und billigem Ermessen entspreche. Der Arbeitgeber könne seine Anordnung (auch) auf Gründe stützen, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stünden. Dazu wird das LAG nach Zurückverweisung Feststellungen zu treffen haben.
Praxishinweise:
1. |
In der Durchführung eines BEM sieht das BAG keine formelle oder materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts. Das heißt, der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers kann ein berechtigtes Interesse im Rahmen des Weisungsrechts sein. Das BEM ist kein milderes und geeigneteres Mittel, um das vom Arbeitgeber gewünschte Ziel zu erreichen. Weshalb der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht zunächst ein BEM anbieten muss. |
2. |
Im Arbeitgebermandat ist gleichwohl die Durchführungen eines BEM bei einer mit gesundheitlichen Gründen im Zusammenhang stehenden Versetzung zwingend erforderlich. Das BAG hat zwar offen gelassen, ob und wie ein BEM bei einer erforderlichen Ermessensabwägung berücksichtigt wird. Weil das BEM im Hinblick auf die Ermittlung konkreter, auf die individuelle gesundheitliche Situation des Klägers bezogener Gründe für die Versetzung hilfreich sein kann, ist die Interessenabwägung im Regelfall unwirksam, wenn der Arbeitgeber wegen des fehlenden BEM erhebliche Belange des Arbeitnehmers nicht hinreichend berücksichtigt hat, gleich ob er sie kannte oder nicht. |
3. |
Trägt der Arbeitnehmervertreter im Rechtsstreit über die Ausübung des Weisungsrechts vor, ein BEM hätte die individuelle gesundheitliche Situation des Arbeitnehmers besser beleuchtet, so muss der Arbeitgeber die Nutzlosigkeit des BEM darlegen, soll die Interessenabwägung nicht unwirksam sein. |