I. Individualarbeitsrecht
1. Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit (Rechtsprechungsänderung)
Das BAG hatte am 19.12.2018 in fünf Verfahren (10 AZR 231/18 u.a.) tarifvertragliche Regelungen (MTV Systemgastronomie 2014) danach auszulegen, ob Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitbeschäftigten schon für die Arbeitszeit geschuldet sind, die über die Teilzeitquote hinausgeht, die Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit jedoch nicht überschreitet. Das Gericht hat dies bejaht.
Bereits die Auslegung des MTV Systemgastronomie 2014 anhand dessen Wortlaut, Systematik und Zweck ergebe, dass der MTV an die individuell vereinbarte Arbeitszeit anknüpfe und damit jede über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistung mit Zuschlägen zu vergüten sei. Tarifzweck sei es, den individuellen Freizeitbereich zu schützen. Dies sei unabhängig vom Umfang der Beschäftigung in Voll- oder Teilzeit (vgl. Rn 41 u. 67). Der Zehnte Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung auf (zuletzt: BAG, Urt. v. 26.4.2017 – 10 AZR 589/15) und schließt sich dem Sechsten Senat (BAG, Urt. v. 23.3.2017 – 6 AZR 161/16 Rn 53, BAGE 158, 360) und der Rechtsprechung des EuGH "Elsner Lakeberg" und "Voß" an (EuGH, Urt. v. 27.5.2004 – C-285/02 [Elsner-Lakeberg] Slg. 2004 I-5861; EuGH, Urt. v. 6.12.2007 – C-300/06 [Voß] Slg. 2007, I-10573). Entscheidend seien die einzelnen Entgeltbestandteile, eine Gesamtbetrachtung scheide aus. Die formale Gleichbehandlung im Hinblick auf die Gesamtvergütung führe zu einer Ungleichbehandlung. Würden Teilzeitbeschäftigte einen Zuschlag erst dann erhalten, wenn die gesamte Differenz zur Vollzeitarbeitszeit erarbeitet wäre, sei dies mit einer höheren Belastungsgrenze von Teilzeitbeschäftigten verbunden, dies stelle eine unmittelbare Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter dar (vgl. Rn 57 u. 63).
Als weitere Begründung führt der Zehnte Senat aus: Eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst besteht, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird, verstößt gegen § 4 Abs. 1 TzBfG (Rn 50). Die Norm ist nicht tarifdispositiv, vgl. § 22 TzBfG. Auch Tarifvertragsparteien können vom allgemeinen und vom entgeltbezogenen Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 S. 1 u. 2 TzBfG nicht abweichen. Tarifnormen sind grundsätzlich so auszulegen, dass sie nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen, was im Zweifel auch die Tarifvertragsparteien beabsichtigen. Lässt eine Tarifnorm eine Auslegung zu, die zu einem mit höherrangigen Recht zu vereinbarenden Ergebnis führt, ist sie in diesem Sinn anzuwenden (so bereits BAG, Urt. v 23.3.2017 – 6 AZR 161/16 Rn 42). Nur in der vorstehenden Auslegung liegt kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vor. Die Leistung von Mehrarbeitszuschlägen ab Überschreiten der individuell vereinbarten Arbeitszeit führt auch nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitkräften. Beide Gruppen werden gleich behandelt und erhalten für die gleiche Belastung, die durch die über obligatorische Inanspruchnahme ihrer Arbeitsleistung und den Eingriff in ihre Freizeit eintritt, die gleichen Mehrarbeitszuschläge.
Eine Vorlage an den Großen Senat des BAG nach § 45 Abs. 2 ArbGG und in deren Vorfeld eine Divergenzanfrage beim Dritten und beim Fünften Senat nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG war entbehrlich. Wegen der geänderten Rechtsprechung des EuGH, wonach für die Prüfung einer Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten die Vergütungsbestandteile zu untersuchen sind – und nicht mehr auf die Gesamtvergütung abzustellen ist – war die rechtliche Grundlage der früheren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts entfallen. Hinzu kommt, dass derzeit nur der Sechste und der Zehnte Senat für Zuschläge für unter besonderen Umständen geleistete Arbeit zuständig sind.
Hinweis:
Vertiefend: Rambach, ZTR 2019, 195; zur Auswirkung auf die Zeitarbeitsbranche: Bissels/Falter, DB 2019, 787.
2. Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 BGB bei verspäteter Zahlung des Arbeitsentgelts?
Entgegen dem LAG Baden-Württemberg, dem weitere Landesarbeitsgerichte folgten, hat das BAG (Urt. v. 25.9.2018 – 8 AZR 26/18, NZA 2019, 121) die Geltung der Verzugspauschale im arbeitsgerichtlichen Verfahren verneint.
Die Parteien streiten in der Revision noch über die Zahlung von Verzugspauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB. Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten beschäftigt. Er hat diese auf Zahlung rückständiger Besitzstandszulagen für die Monate Mai bis September 2016 in Anspruch genommen. Zudem hat er von der Beklagten wegen Verzugs mit der Zahlung der Besitzstandszulage für die Monate Juli bis September 2016 die Zahlung von drei Pauschalen à 40 EUR nach § 288 Abs. 5 BGB verlangt. Insoweit hat er die Ansicht vertreten, § 288 Abs. 5 BGB sei auch im Arbeitsrecht anwendbar. Die Beklagte hat demgegenüber im Wesentlichen eingewandt, § 288 Abs. 5 BGB sei im Arbeitsrecht gem. § 12a ArbGG ausgeschlossen. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 288 Abs. 5 BGB nicht vor, da sie sich nicht schuldhaft in Verzug befunden habe.
Während ArbG und LAG der Klage stattgaben, war die Revision der beklagten Arbeitgeberin, mit der diese sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlu...