1. Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Nach § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX in der vom 30.12.2016 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung – inhaltlich unverändert seit dem 1.1.2018: § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX – ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen, die ein Arbeitgeber ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach S. 1 der Vorschrift ausspricht, unwirksam.
In dem vom BAG entschiedenen Fall (Urt. v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NJW 2019, 1016) hatte die Beklagte, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigte, im Dezember 2016 die behördliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der seit 1981 bei ihr tätigen, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin (für die § 95 Abs. 2 SGB IX a.F. anwendbar ist, s. § 68 Abs. 1 SGB IX a.F. – § 151 Abs. 1 SGB IX n.F.) beantragt. Das Integrationsamt erteilte durch Bescheid vom 20.2.2017 seine Zustimmung, daraufhin hörte die Beklagte mit Schreiben vom 7. 3. 2017 den Betriebsrat bzw. v. 15.3.2017 die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an. Schriftlich kündigte die Beklagte am 24.3.2017 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.9.2017. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen. Die Revision der Beklagten hatte im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung Erfolg.
Eine Beendigung- oder Änderungskündigung ist nach § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX a.F. unwirksam, wenn der Arbeitgeber sie "ohne eine Beteiligung" der Schwerbehindertenvertretung "nach S. 1" ausspricht. Mit "Beteiligung nach S. 1" sind nach Auffassung des BAG und eines Teils der Literatur (s. auch Gundel ZAT 2017, 50, 57) allein die Unterrichtung und die Anhörung nach § 95 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGB IX a.F. in Bezug genommen. Die Unwirksamkeitsfolge soll nicht eingreifen, wenn der Arbeitgeber "nur" die Mitteilungspflicht nach § 95 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB IX a.F. verletzt.
Für die Beteiligung (Unterrichtung und Anhörung) der Schwerbehindertenvertretung sollen die gleichen Grundsätze gelten, wie zur – ebenfalls eine Unterrichtung voraussetzenden Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 u. Abs. 2 BetrVG. Die Unwirksamkeitsfolge tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß anhört. Zwar ist die Schwerbehindertenvertretung gem. § 95 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGB IX a.F. grundsätzlich unverzüglich zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Jedoch kann (und muss ggf.) eine verspätete Beteiligung nach S. 2 der Vorschrift nachgeholt werden. Die Nachholungsmöglichkeit besteht kraft Gesetzes. Eines Antrags der Schwerbehindertenvertretung bedarf es nicht. Die im Gesetz vorgesehene 7-Tage-Frist sei, so das BAG, keine Ausschlussfrist. Die Nachholungsmöglichkeit bestehe vielmehr, bis die Entscheidung durchgeführt oder vollzogen ist.
Die Anhörung muss zur Abwendung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht schon erfolgen, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht. Die Kündigungsschutzentscheidung wird erst durch den Kündigungsausspruch "vollzogen". Mit der Beteiligung des Betriebs-bzw. Personalrats oder dem Antrag auf Erteilung der Zustimmung an das Integrationsamt nimmt der Arbeitgeber die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder vorweg noch legt er sie fest.
Der Arbeitgeber hört die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß an, wenn er sie sachlich ausreichend unterrichtet – wobei eine Reduzierung des Unterrichtungsinhalts auf schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge nicht besteht – und ihr genügend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das Gesetz seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge eine planwidrige Regelungslücke. Diese schließt das BAG durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG, wonach etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen sind. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht.
Nach Auffassung des BAG hat das Berufungsgericht verkannt, dass die Beklagte die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 15.3.2017 jedenfalls "nachgeholt" und sie auf dieser Basis noch vor Ausspruch der Kündigung am 24.3.2017 ordnungsgemäß angehört haben könnte. Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen konnte der Senat nicht abschließend über den Kündigungsschutzantrag entscheiden und verwies zurück.
Hinweise:
Umfassend zur Neuregelung des § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX a.F. jetzt § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX (2018): Gundel ZAT 2017, 50; Anm. ZAT 2019, 27 f.; Bayreuther NZA 2017, 87; Boecken VSSR 2017, 69. Zusammengefasst:
- § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX ist ein eigenständiger Unwirksamkeitsgrund, der vor jeder Kündigung gilt (BAG, a.a.O. Rn 12).
- Der Unwirksamkeitsgrund besteht unabhängig von einem Zu...