1. Ausnahmevorschriften für Befristungen bei Theatern
Der EuGH (Urt. v. 25.10.2018 – C-331/17 "Sciotto", juris) hat im Fall einer "römischen Ballettänzerin" an der Oper für eine 41/2-jährige Befristung entschieden: § 5 der Rahmenvereinbarung (sog. Befristungsrichtlinie) steht nationalen Regelungen entgegen, nach denen das allgemeine Befristungsrecht mit der Rechtsfolge der automatischen Umwandlung in einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Sanktion missbräuchlicher Verwendung, auf den Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester nicht anwendbar sind. Zwar verfügten die Mitgliedstaaten über ein Ermessen, da § 5 Nr. 1 Buchst. a bis c der Rahmenvereinbarung keine bestimmte Maßnahme vorschreibe, jedoch das Ziel zwingend vorgebe: Keine Kettenbefristung! Ausnahmen müssten sich im Rahmen des Ziels des § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung und des dritten Absatzes der Präambel der Rahmenvereinbarung sowie den Nrn. 8 bis 10 ihrer Allgemeinen Erwägungen halten. Danach können die besonderen Anforderungen der Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien berücksichtigt werden. Voraussetzung ist aber stets, dass dies durch objektiv bestehende sachliche Gründe, welche sich auf die Tätigkeit beziehen, objektiv gerechtfertigt sei (vgl. EuGH, Urt. v. 26.2.2015, Kommission/Luxemburg, C-238/14 [Rn 40]).
Diesen Anforderungen genügte die italienische nationale Regelung nicht: (1) Weder die Tradition befristeter Arbeitsverträge im Tätigkeitsbereich dieser Stiftungen, noch (2) das verfassungsrechtlich geschützte Ziel der Entwicklung der italienischen Kultur und des Schutzes des historischen und künstlerischen Erbes Italiens, noch (3) die Besonderheit jeder künstlerischen Aufführung und auch nicht (4) die Notwendigkeit öffentliche Ausgaben im Rahmen zu halten, genügen objektiven tätigkeitsbezogenen Anforderungen.
Hinweise:
- Die Entscheidung betrifft auch Deutschland: Fast alle größeren Städte oder Kommunen in Deutschland haben ein Theater und wenden den NV Bühne an, der mehr als 15-jährige Befristung zulässt.
Hinzu kommt eine deutsche Besonderheit: Viele Kommunen sind doppelt tarifgebunden:
- Einerseits im TVöD (VKA), kraft Mitgliedschaft im Verband kommunaler Arbeitgeber,
- andererseits an den NV Bühne, kraft Mitgliedschaft im Deutschen Bühnenverein.
Dies spiegelt sich auf der Arbeitnehmerseite, die zwei unterschiedliche originäre Tarifbindungen kennt:
- Mitgliedschaft bei ver.di (TVöD)
- Mitgliedschaft in der Bühnengenossenschaft (NV Bühne).
- Der NV Bühne, vielfach im Wege der Gleichstellungsabrede für die Nichttarifgebundenen arbeitsvertraglich vereinbart, funktioniert spiegelbildlich vergleichbar einem Vertrag eines Fitnessstudios, der sich automatisch jährlich verlängert, wenn er nicht gekündigt wird. So verlängert sich der Bühnenarbeitsvertrag automatisch, wenn der kommunale Arbeitgeber nicht zwei Monate vor der jährlichen Vertragsbeendigung am Ende der Spielzeit eine sog. Nichtverlängerungsmitteilung erklärt. Diese bedarf keiner Begründung, weil der Grund für die Befristung in Art. 5 Abs. 3 GG liegen soll und ungenannter Sachgrund i.S.d. TzBfG sei.
- Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat im Vorfeld des Urteils die Übertragbarkeit der italienischen Lage auf das deutsche Recht verneint. Das BAG hat erst vor einem Jahr bestätigt, dass die Befristung einer Maskenbildnerin am Theater zulässig sei (BAG, Urt. v. 13.12.2017 – 7 AZR 369/16).
- Derzeit liegen zwei Urteile des LAG Baden-Württemberg dem BAG vor (4 AZR 252/18 und 4 AZR 302/18). Beide betreffen jeweils Bühnentechniker, die Mitglieder der Gewerkschaft ver.di sind und in deren Arbeitsverträgen der NV Bühne vereinbart ist. ArbG und LAG gaben den Klagen – nach deutschem Recht statt – weil es auf die Tarifgeltung des TVöD kraft originärer Tarifbindung ankam. Im Übrigen genüge die vertragliche Vereinbarung der Künstlereigenschaft nicht, den Anwendungsbereich des NV Bühne zu eröffnen.
- Auch die Vorgaben des Unionsrechts scheinen schwerlich gewahrt. 15 Jahre Befristungshöchstdauer stellen keine angemessene Höchstgrenze dar, um Art. 5 der Rahmenvereinbarung zu genügen.
2. Hinausschieben der Altersgrenze
Das BAG (Urt. v. 19.12.2018 – 7 AZR 70/17, NZA 2019, 523) hat erstmalig zu § 41 S. 3 SGB VI entschieden. Die Norm räumt den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit ein, im Falle der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze den Beendigungszeitpunkt durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben.
Der im Juli 1949 geborene Lehrer wendet sich gegen die Befristung zum Ablauf des 31.7.2015. Das Lehrdeputat betrug 23 Wochenstunden. Arbeitsvertraglich war die Geltung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vereinbart. Nach § 44 Nr. 4 TV-L endete das Arbeitsverhältnis wegen Erreichens der Regelaltersgrenze am 31.1.2015. Am 20.1.2015 vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 31.7.2015 endet. Mit Schreiben vom 3.2.2015 ordnete die Schulleiterin die Pflicht des Klägers an, jederzeit widerruflich weitere vier Wochenstunden Unterricht zu erteilen. Mit Schreiben ...