Die gesetzlich vorgesehenen Instrumente, mit denen versucht werden kann, der Corona-Pandemie auf vertragsrechtlicher Ebene zu begegnen, sind in erster Linie die Regelungen zur Unmöglichkeit (§ 275 BGB) sowie zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB).
a) Unmöglichkeit (§ 275 BGB)
Unmöglichkeit liegt vor, wenn eine Leistung nicht erbracht werden kann, was bekanntermaßen auf tatsachliche und rechtliche Gründe zurückzuführen sein kann. Im Anwendungsbereich von § 275 Abs. 1 BGB wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit, verliert jedoch gleichzeitig (abgesehen von bestehenden Ausnahmen) den Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 BGB).
Im Zuge der Corona-Pandemie dürften v.a. zwei Aspekte von Bedeutung sein: Auf der einen Seite wird insb. die Kategorie der rechtlichen Unmöglichkeit im Fokus liegen. Sollte nämlich einem Schuldner aufgrund behördlicher Anordnungen und/oder einer Allgemeinverfügung die Erbringung von bestimmten Leistungen untersagt worden sein, besteht ein dauerhaftes Rechtshindernis (Seichter in jurisPK-BGB, 9. Aufl. [Stand: 8.4.2020], § 275 Rn 28.1). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass § 275 BGB dem Grunde nach eine dauerhafte Unmöglichkeit voraussetzt. Eine "vorübergehende" Unmöglichkeit führt dagegen nur zu einer zeitlich begrenzten Befreiung von der Pflicht zur Leistungserbringung. Anders ist dies nur dann, wenn durch das (zeitweilige) Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks generell in Frage gestellt ist und dem Vertragspartner bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann (erstmals BGH NJW 1967, 721 = BGHZ 47, 48, 50). Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Anwendbarkeit von § 275 BGB – wie so häufig – eine Frage des Einzelfalls.
b) Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
Im Gegensatz zur Unmöglichkeit gibt das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage dem Vertragspartner einen Anspruch auf Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB) und – wenn dies nicht möglich oder zumutbar ist – die Möglichkeit zum Rücktritt vom Vertrag (§ 313 Abs. 3 BGB). Für das Verhältnis von § 275 BGB und § 313 BGB gilt: Einigkeit besteht insoweit, als die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage gegenüber § 275 Abs. 1 BGB subsidiär sind, während die Abgrenzung von § 275 Abs. 2 BGB insb. zu Fällen der sog. wirtschaftlichen Unmöglichkeit umstritten ist.
Anwendungsvoraussetzung für § 313 BGB ist bekanntermaßen, dass sich Umstände, die von den Parteien bei Abschluss des Vertrags diesem zugrunde gelegt wurden, im Nachhinein als unzutreffend herausgestellt haben bzw. sich schwerwiegend verändert haben. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn sich durch die aufgetretene "Störung" ein Risiko verwirklicht hat, welches wegen der vertraglichen Vereinbarung von einer Partei zu tragen ist (statt vieler Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 Rn 17 ff.).
Ob COVID-19 zur Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt, hängt damit im Wesentlichen von den Vorstellungen ab, die von den Parteien dem Vertrag zugrunde gelegt wurden. In diesem Zusammenhang spricht jedoch einiges dafür, dass der Ausbruch von COVID-19 durchaus einen Fall der sog. großen Geschäftsgrundlage darstellen kann (in diesem Sinne Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1021). Hierunter versteht man die Erwartung der Vertragsparteien, dass es während der Vertragsdurchführung zu keinen grundlegenden Veränderungen der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse kommt (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 Rn 5).
Hinweis:
Als Anwendungsfälle der "großen Geschäftsgrundlage" wurden von der Rechtsprechung in der Vergangenheit u.a. anerkannt der Zusammenbruch der DDR (BGH NJW 1993, 259 ff. = BGHZ 120, 10 ff.), die November-Revolution im Jahre 1918 (RGZ 98, 18 ff.) sowie der Ausbruch der beiden Weltkriege (RGZ 94, 68 ff.).
Dies wird man – wie im Zweifel so oft – differenziert betrachten müssen: Zutreffend wird nämlich auf der einen Seite darauf hingewiesen, dass sich die Corona-Pandemie nicht auf sämtliche Wirtschaftszweige gleichermaßen auswirkt. So sind beispielsweise Handwerker weitestgehend "mit einem blauen Auge davongekommen", sodass es schon an einer existenziellen Bedrohung fehlt. Auf der anderen Seite ist es naheliegend und überzeugend, den Ausbruch von COVID-19 und die damit verbundenen Folgen als Form von "höherer Gewalt" einzustufen (s. hierzu im Nachfolgenden unter II 2). Mangels einer vorrangigen vertraglichen Regelung kann dies nur zu dem Ergebnis führen, dass dieses Risiko nicht einseitig von einer, sondern von beiden Vertragsparteien gleichermaßen zu tragen ist (Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1021; Pfeiffer in jurisPK-BGB, 9. Aufl. [Stand: 3.4.2020], § 313 Rn 13.5).
Hinweis:
Ähnliche Fragen stellen sich für internationale (grenzüberschreitende) Verträge. Im Falle von Vertragsverletzungen (z.B. Lieferverzug) sieht das UN-Kaufrecht in den Art. 45 Abs. 1 lit. b), 74 ff. CISG einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch (inkl. Ersatz des entgangenen Gewinns) des Kä...