I. Einführung
Das Coronavirus (COVID-19) hat zu Einschränkungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens geführt, die nunmehr ein Niveau erreichen, das für eine offene Gesellschaft mit einem freien Markt kaum vorstellbar war. Die drastischen Entwicklungen, die in den kommenden Wochen und möglicherweise Monaten zu erwarten sind, werden die Erfüllung von Verträgen vor Herausforderungen stellen. Das bislang allgemein anerkannte Dogma "pacta sunt servanda" gerät immer mehr ins Wanken (Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017). Vor allem für die Anwalts- und Gerichtspraxis stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Krise auf Vertragsbeziehungen jeglicher Art hat: Fragen, wie und unter welchen Bedingungen eine Loslösung vom Vertrag möglich ist, ob und inwiefern Schadenersatzansprüche bestehen und welche sonstigen Rechte und Pflichten beispielsweise gegen Lieferanten bestehen, sind derzeit in aller Munde.
Da ein Ende der Pandemie derzeit weder in Deutschland noch im Rest der Welt absehbar ist, finden sich im rechtswissenschaftlichen Schrifttum aktuell in erster Linie Beiträge, die sich dem Umgang mit den aktuell drängenden Fragen widmen. Geht man mit einem gesunden Optimismus davon aus, dass die aktuelle Krise früher oder später ihr Ende finden wird, wird sich in der Zukunft vermehrt die Frage aufdrängen, welche Lehren für die Vertragsgestaltung aus COVID-19 zu ziehen sind. Ausgehend von den im deutschen Recht vorgesehenen gesetzlichen Instituten zum Umgang mit "vertraglichen Krisensituationen" sowie unterschiedlichen individuell-vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten wird in dem Beitrag der Versuch unternommen, die zukünftigen Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung in der täglichen Anwaltspraxis darzustellen und erste Handlungsempfehlungen auszuarbeiten.
II. Gesetzliche und vertragliche Instrumente in Krisenzeiten
1. Unmöglichkeit und Störung der Geschäftsgrundlage (§§ 275, 313 BGB)
Die gesetzlich vorgesehenen Instrumente, mit denen versucht werden kann, der Corona-Pandemie auf vertragsrechtlicher Ebene zu begegnen, sind in erster Linie die Regelungen zur Unmöglichkeit (§ 275 BGB) sowie zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB).
a) Unmöglichkeit (§ 275 BGB)
Unmöglichkeit liegt vor, wenn eine Leistung nicht erbracht werden kann, was bekanntermaßen auf tatsachliche und rechtliche Gründe zurückzuführen sein kann. Im Anwendungsbereich von § 275 Abs. 1 BGB wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit, verliert jedoch gleichzeitig (abgesehen von bestehenden Ausnahmen) den Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 BGB).
Im Zuge der Corona-Pandemie dürften v.a. zwei Aspekte von Bedeutung sein: Auf der einen Seite wird insb. die Kategorie der rechtlichen Unmöglichkeit im Fokus liegen. Sollte nämlich einem Schuldner aufgrund behördlicher Anordnungen und/oder einer Allgemeinverfügung die Erbringung von bestimmten Leistungen untersagt worden sein, besteht ein dauerhaftes Rechtshindernis (Seichter in jurisPK-BGB, 9. Aufl. [Stand: 8.4.2020], § 275 Rn 28.1). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass § 275 BGB dem Grunde nach eine dauerhafte Unmöglichkeit voraussetzt. Eine "vorübergehende" Unmöglichkeit führt dagegen nur zu einer zeitlich begrenzten Befreiung von der Pflicht zur Leistungserbringung. Anders ist dies nur dann, wenn durch das (zeitweilige) Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks generell in Frage gestellt ist und dem Vertragspartner bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann (erstmals BGH NJW 1967, 721 = BGHZ 47, 48, 50). Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Anwendbarkeit von § 275 BGB – wie so häufig – eine Frage des Einzelfalls.
b) Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
Im Gegensatz zur Unmöglichkeit gibt das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage dem Vertragspartner einen Anspruch auf Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB) und – wenn dies nicht möglich oder zumutbar ist – die Möglichkeit zum Rücktritt vom Vertrag (§ 313 Abs. 3 BGB). Für das Verhältnis von § 275 BGB und § 313 BGB gilt: Einigkeit besteht insoweit, als die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage gegenüber § 275 Abs. 1 BGB subsidiär sind, während die Abgrenzung von § 275 Abs. 2 BGB insb. zu Fällen der sog. wirtschaftlichen Unmöglichkeit umstritten ist.
Anwendungsvoraussetzung für § 313 BGB ist bekanntermaßen, dass sich Umstände, die von den Parteien bei Abschluss des Vertrags diesem zugrunde gelegt wurden, im Nachhinein als unzutreffend herausgestellt haben bzw. sich schwerwiegend verändert haben. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn sich durch die aufgetretene "Störung" ein Risiko verwirklicht hat, welches wegen der vertraglichen Vereinbarung von einer Partei zu tragen ist (statt vieler Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 Rn 17 ff.).
Ob COVID-19 zur Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt, hängt damit im Wesentlichen von den Vorstellungen ab, die von den Parteien dem Vertrag zugrunde gelegt wurden. In diesem Zusammenhang spricht jedoch einiges dafür, dass der Ausbruch von COVID-19 durchaus einen Fall der sog. großen Geschäftsgrundlage darstellen kann (in diesem Sinne Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1...