Ein Ultra-vires-Akt ist eine Entscheidung, die außerhalb der Kompetenzen der entscheidenden Stelle liegt. Ultra vires ("über die Kräfte hinaus"; lateinischer Akkusativ-Plural) bezeichnet im anglo-amerikanischen Recht die Beschränkung der Rechtsfähigkeit von juristischen Personen auf ihre jeweiligen Aufgaben und Zwecke.
Bei einer Ultra-vires- und Identitätskontrolle geht es um die Kontrollmaßstäbe für die mittelbare Prüfung von Maßnahmen europäischer Organe, Einrichtungen oder sonstiger Stellen und von europäischen Rechtsakten. Wegen der Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane ist eine Kontrolle zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben.
Die Voraussetzungen der Ultra-vires-Kontrolle durch das BVerfG sind mittlerweile geklärt. Ersichtlich ist ein Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nur dann, wenn die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union die Grenzen ihrer Kompetenzen in einer das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung spezifisch verletzenden Art überschritten haben (Art. 23 Abs. 1 GG), der Kompetenzverstoß mit anderen Worten hinreichend qualifiziert ist. Das setzt voraus, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und innerhalb des Kompetenzgefüges zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen führt. Eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen liegt vor, wenn die Kompetenzüberschreitung im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fällt. Davon ist auszugehen, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz durch das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle der Europäischen Union eine Vertragsänderung nach Art. 48 EUV oder die Inanspruchnahme einer Evolutivklausel erforderte, für Deutschland also ein Tätigwerden des Gesetzgebers, sei es nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG, sei es nach Maßgabe des Integrationsverantwortungsgesetzes (Rn 110 der Entscheidung m.w.N.). Die Annahme einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung setzt allerdings nicht voraus, dass keine unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu der in Rede stehenden Frage vertreten werden. Dass Stimmen im Schrifttum, in der Politik oder den Medien einer Maßnahme Unbedenklichkeit attestieren, hindert die Feststellung einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung grds. nicht. "Offensichtlich" kann die Kompetenzüberschreitung auch dann sein, wenn ihre Annahme das Ergebnis einer sorgfältigen und detailliert begründeten Auslegung ist. Insoweit gelten im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle die allgemeinen Grundsätze. Überschreitet der Gerichtshof diese Grenze, ist sein Handeln vom Mandat des Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV i.V.m. dem Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt, sodass seiner Entscheidung jedenfalls für Deutschland das gem. Art. 23 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Mindestmaß an demokratischer Legitimation fehlt (Rn 111 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben haben Bundesregierung und Deutscher Bundestag die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG verletzt, soweit sie es unterlassen haben, geeignete Maßnahmen dagegen zu ergreifen, dass die EZB im Beschluss (EU) 2015/774, geändert durch die Beschlüsse (EU) 2015/2101, (EU) 2015/2464, (EU) 2016/702 und (EU) 2017/100 weder geprüft noch dargelegt hat, dass die beschlossenen Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Der Beschluss (EU) 2015/774 und die ihn abändernden Beschlüsse (EU) 2015/2101, (EU) 2015/2464, (EU) 2016/702, (EU) 2017/100 stellen deshalb eine qualifizierte, weil offensichtliche und strukturell bedeutsame Überschreitung der der EZB in Art. 119, Art. 127 ff. AEUV und Art. 17 ff. ESZB-Satzung zugewiesenen Kompetenzen dar. Dem steht die anderweitige Auffassung des Gerichtshofs im Urt. v. 11.12.2018 (C-493/17) nicht entgegen, da das Urteil in diesem Punkt schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und insoweit ultra vires ergangen ist. Dagegen kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die Verhältnismäßigkeit der Beschlüsse im konkreten Fall gegeben ist. Die Auslegung von Art. 123 AEUV durch den Gerichtshof hält sich – trotz nicht unerheblicher Bedenken im Detail – noch im Rahmen des methodisch Vertretbaren. Auf dieser Grundlage lässt sich ein Verstoß der in Rede stehenden Beschlüsse gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung nicht feststellen. Bundesregierung und Bundestag sind im Rahmen der ihnen als Verfassungsorgane zukommenden Integrationsverantwortung verpflichtet, geeignete Schritte für eine Einhaltung des Integrationsprogramms zu unternehmen. Sie haben darüber hinaus die weitere Durchführung des PSPP zu beobachten, um Risiken für die Einhaltung des Integrationsprogramms und/oder die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestags frühzeitig entgegentreten zu können. Der Bundesbank ist es grds. untersagt...