Dies ist weit mehr als eine schallende Ohrfeige für den EuGH, ein "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbares Urteil und nicht unerhebliche Bedenken im Detail".
Der Ansatz des EuGH, auch i.R.d. Verhältnismäßigkeitsprüfung die tatsächlichen Wirkungen des PSPP außer Acht zu lassen und eine wertende Gesamtbetrachtung nicht vorzunehmen, verfehlt die Anforderungen an eine nachvollziehbare Überprüfung der Einhaltung des währungspolitischen Mandats von ESZB und EZB. Damit kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die ihm in Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 EUV zukommende Korrektivfunktion zum Schutz mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten nicht mehr erfüllen. Diese Auslegung lässt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 EUV im Grunde leerlaufen (Rn 123 m.w.N.).
Das völlige Ausblenden der wirtschaftspolitischen Auswirkungen des PSPP, das schon bei der Bestimmung der Zielsetzung des ESZB methodisch nicht nachvollziehbar ist, führt dazu, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung ihre Funktion verliert, weil Geeignetheit und Erforderlichkeit des PSPP – von dem Verlustrisiko abgesehen – nicht mit den wirtschaftspolitischen Auswirkungen zulasten der Kompetenzen der Mitgliedstaaten in Beziehung gesetzt und diese nicht mit den erhofften Vorteilen abgewogen werden. Es widerspricht zudem der methodischen Herangehensweise des Gerichtshofs in nahezu allen anderen Bereichen der Unionsrechtsordnung. Im Ergebnis gestattet das Urteil des Gerichtshofs vom 11.12.2018 dem ESZB, Wirtschaftspolitik zu betreiben, solange die EZB nur angibt, sich eines in der ESZB-Satzung genannten oder angelegten (vgl. Art. 20 Abs. 1 ESZB-Satzung) Mittels zu bedienen und das von ihr bestimmte Inflationsziel zu verfolgen (Rn 133 m.w.N.).
In anderem Zusammenhang hat der Gerichtshof selbst festgestellt, dass die Kontrolle einer rechtlichen Voraussetzung ins Leere ginge, wenn sie in Zweifelsfällen derjenigen Organisation überlassen sei, die eine Maßnahme durchführen wolle (vgl. EuGH, Urt. v. 17.4.2018, Egenberger/Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., C-414/16, EU:C:2018:257, Rn 46). Warum das bei Organen der Europäischen Union wie der EZB anders sein sollte, ist nicht ersichtlich, zumal der Gerichtshof die Legitimationsfunktion der gerichtlichen Kontrolle mehrmals besonders hervorgehoben hat (Rn 145).
Nach zahlreichen "Ja, aber ..."-Entscheidungen, in denen an die demokratische Legitimation der EU erinnert wurde, ist das nun das "Nein". Karlsruhe hätte sich lächerlich gemacht, hätte es ein weiteres Mal gedroht, aber nicht ernst gemacht. Solange es für eine Schuldenunion kein Mandat gibt, kann die EZB keine schaffen. Das sollte auch der EuGH einsehen, der Karlsruhe bisweilen wie ein Amtsgericht behandelt, so Reinhard Müller in der FAZ v. 5.5.2020.