Mit Urt. v. 12.6.2019 (BAG – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203) bestätigt der Erste Senat die obige Rechtsprechung des Vierten Senats. Zugleich klärt er die wichtige weitere Frage: Normen einer Betriebsvereinbarung, die bei einem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber transformiert wurden, gehen auch bei einem weiteren Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB über. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB ist nicht anzuwenden.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die ursprüngliche Arbeitgeberin des Klägers schloss 1992 mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) zur betrieblichen Altersversorgung ab. 1999 wurde der Betriebsteil, dem der Kläger angehörte, auf eine neu gegründete GmbH übertragen, die keinen Betriebsrat hatte. Ein Betriebsrat wurde 2002 erstmals gewählt. Im Mai 2013 wurde die GmbH auf die Beklagte verschmolzen. Der Betrieb des Klägers wurde vollständig in den Betrieb der Beklagten integriert. Seit 2008 bestand bei der Beklagten eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung, deren Geltungsbereich alle zum Zeitpunkt des Abschlusses der GBV bestehenden Betriebe der Beklagten umfasste.
Der Kläger berief sich auf die Geltung der GBV 1992, weil diese nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB Bestandteil seines Arbeitsvertrags geworden sei. Die Klage war in allen drei Instanzen ohne Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die GBV beim Übergang auf die neu gegründete Gesellschaft unmittelbar und zwingend nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG fortgegolten habe oder ob ihre Bestimmungen nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB Inhalt seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geworden seien: (1) Im Fall einer normativen Fortgeltung der GBV habe diese beim Übergang auf die Beklagte geendet, weil der Betrieb der neu gegründeten Gesellschaft beim Übergang auf die Beklagte in deren Betrieb integriert worden sei und damit die zum normativen Fortbestand notwendige Identität verloren habe. (2) Seien die Regelungen der GBV bereits auf die neu gegründete Gesellschaft im Wege des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB übergegangen, hätten sie dabei ihren kollektivrechtlichen Charakter beibehalten. Deshalb gelten sie bei der Beklagten zwar kraft Transformation weiter, jedoch nicht individualrechtlich wie arbeitsvertragliche Regelungen nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, sondern wegen des kollektivrechtlichen Charakters nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit der Folge, dass sie im Wege des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB durch die bei der Beklagten geltende GBV abgelöst worden seien.
Hinweise:
- Der Erste Senat des BAG bestätigt die vorstehende Rechtsprechung des Vierten Senats (BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/17) zur kollektivrechtlichen Ablösung ohne ein absolutes Verschlechterungsverbot. Nun dürfen wir – vorbehaltlich einer ergehenden, entgegenstehenden Entscheidung des EuGH – davon ausgehen, dass das BAG dies einheitlich so sieht!
§ 613a BGB ist kompliziert. Er enthält drei unterschiedliche Regelungen, Satz 4 ist ein Unterfall des Satzes 2.
§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB hält individualrechtlich geltende Regelungen beim Erwerber als Individualrecht aufrecht.
§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB regelt die Weitergeltung kollektivrechtlich geltender Regelungen bei einem nicht kollektivrechtlich gebundenen Erwerber – sog. Transformation des Kollektivrechts in den Arbeitsvertrag unter Aufrechterhaltung des kollektivrechtlichen Charakters.
§ 613a Abs. 1 S. 4 regelt, was bei Wegfall der Kollektivregelung vor Ablauf der Sperrfrist passiert – Ende der Abänderungssperre!
§ 613a Abs. 1 S. 3 BGB regelt die Ablösung der beim Veräußerer geltenden kollektivrechtlichen Regelungen durch die beim Erwerber geltenden kollektivrechtlichen Regelungen!
- Auch bei mehrmaligem Betriebsübergang werden vormals kollektivrechtliche Normen nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags und gehen bei einem weiteren Betriebsübergang nicht nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf den Erwerber über. Die Weitergeltung von ehemals kollektivrechtlichen Normen bestimmt sich auch bei mehrfachem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB. Das hat zur Folge, dass sie auch bei weiteren Betriebsübergängen der Möglichkeit der Ablösung nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB unterworfen sind. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man der Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB kollektiv- oder individualrechtlichen Charakter beimisst.