Das BAG entwickelt mit zwei Entscheidungen des Vierten und Ersten Senats die Rechtsprechung zum Betriebsübergang fort.
1. Ablösung von Tarifverträgen bei Betriebsübergang – Verschlechterungsverbot
So hat das BAG einerseits (BAG, Urt. v. 23.1.2019 – 4 AZR 445/17, NZA 2019, 922) erstmalig klargestellt, dass aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "Scattolon" (EuGH, Urt. v. 6.9.2011 – C-108/10) kein allgemeines Verschlechterungsverbot folgt.
Die Parteien stritten über Differenzvergütungsansprüche der seit über 30 Jahren in der Klinik der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigten Klägerin. Bei der unmittelbaren Rechtsvorgängerin der Beklagten galten zuletzt die Sana-Haustarifverträge mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, deren Mitglied die Klägerin ist. Aufgrund eines Betriebsübergangs ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 1.11.2013 auf die Beklagte über. Bei dieser galt zunächst der mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossene AMEOS-Haustarifvertrag, sodann der vor dem Betriebsübergang abgeschlossene Änderungstarifvertrag.
Die Klägerin war – zu Unrecht – der Ansicht, eine Ablösung führe zu einer unionsrechtswidrigen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, weshalb das BAG die Revision der Klägerin als unbegründet zurückwies. Werden daher nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB die bei dem Betriebsveräußerer durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags unmittelbar und zwingend geregelten Rechte und Pflichten der Arbeitsverhältnisse durch die für dieselben Regelungsgegenstände bestehenden tarifvertraglichen Regelungen, an die der Betriebserwerber und der Arbeitnehmer gebunden sind – "kongruente Tarifgebundenheit" – abgelöst, so tritt die Ablösung grds. unabhängig davon ein, ob sich für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse die Arbeitsbedingungen verbessern oder verschlechtern. Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23/EG stehe einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch einen ablösenden Tarifvertrag nicht entgegen. Auch die Entscheidung des EuGH "Scattolon" (EuGH, Urt. v. 6.9.2011 – C-108/10) stehe nicht entgegen. Zwar habe der EuGH entschieden, der tarifvertragliche Gestaltungsspielraum bei der Regelung zur Integration übergehender Arbeitnehmer dürfe nicht zum Ziel oder zur Folge haben, dass sich die Arbeitsbedingungen insgesamt verschlechterten. Doch sei daraus kein allgemeines Verschlechterungsverbot zu entnehmen, weil die Aussage allein den besonderen Umständen des Ausgangsfalls geschuldet gewesen sei.
Hinweise:
- Der Vierte Senat beseitigt eine weitreichende Unsicherheit, die durch die Scattolon-Entscheidung des EuGH eingetreten ist. Die Rechtslage ist – so der Vierte Senat – im Hinblick auf die Entscheidungen zur Zulässigkeit der Ablösung von Kollektivvereinbarungen im Sinne eines "acte éclairé" geklärt, weshalb eine Vorlage aus sich nicht aus Art. 267 AEUV ergebenden Gründen nicht in Betracht komme.
- Eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB setzt stets die sog. kongruente Tarifbindung voraus. Ein bei dem Erwerber geltender Tarifvertrag kann nur dann gem. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB den bei dem Veräußerer geltenden Tarifvertrag ablösen, wenn sowohl der Erwerber als auch der übernommene Arbeitnehmer an den ablösenden Tarifvertrag kollektiv gebunden sind.
- Besteht neben der Tarifbindung eine dynamische arbeitsvertragliche Verweisung auf den Veräußerertarifvertrag, kann die Ablösung der tarifvertraglichen Regelung daran scheitern, wenn dieser günstigere Regelungen enthält.
- Prozessual ist stets zu beachten: Der Antragsgrundsatz – ne ultra petita – nach § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO erfasst zwei Fälle: (1) Wenn einer Partei etwas zugesprochen wird, ohne dass sie dies beantragt hat und (2) wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat. Konkret: Wird ein Antrag auf einen Tarifvertrag, hilfsweise auf eine vertragliche Bezugnahmeklausel gestützt, nicht aber auf die Anwendung der Tarifverträge aus einer betrieblichen Übung, ist ein Urteil auch darüber zu berichtigen, um eine sonst eintretende Rechtskraft auszuschließen. Ein vom LAG abgewiesener Hauptantrag fällt beim Revisionsgericht nicht an, wenn lediglich der Beklagte gegen die auf den Hilfsantrag gestützte Klagestattgabe Revision einlegt. Ein durch die Abweisung des Hauptantrags beschwerter Kläger muss selbst ein Rechtsmittel einlegen, anderenfalls wird die Entscheidung in diesem Umfang rechtskräftig.
2. Anwendung transformierter Normen bei mehreren Betriebsübergängen
Mit Urt. v. 12.6.2019 (BAG – 1 AZR 154/17, NZA 2019, 1203) bestätigt der Erste Senat die obige Rechtsprechung des Vierten Senats. Zugleich klärt er die wichtige weitere Frage: Normen einer Betriebsvereinbarung, die bei einem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber transformiert wurden, gehen auch bei einem weiteren Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB über. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB ist nicht anzuwenden.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die ursprüngliche Arbeitgeberin des Klägers schloss 1992 mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) zur betrieblichen Altersversorgung ab. 1999 wurde der Betriebsteil, dem der Kläger angehörte, auf eine neu ...