1. Tariffähigkeit einer Gewerkschaft
Das Arbeitsleben in Deutschland wird in erheblichem Umfang durch Tarifverträge gestaltet, die schuldrechtlich die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien regeln und – v.a. – Rechtsnormen begründen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können, § 1 TVG. § 2TVG bestimmt, wer Partei eines Tarifvertrags sein kann (dies sind v.a. auf Seiten der Arbeitnehmer Gewerkschaften, auf Arbeitgeberseite Vereinigungen von Arbeitgebern sowie der einzelne Arbeitgeber, s. aber auch § 2 Abs. 2 u. 3 TVG).
Nicht gesetzlich geregelt ist die sog. Tariffähigkeit, worunter die Befugnis zum Abschluss von Tarifverträgen verstanden wird. Abzustellen ist hierbei auf die Durchsetzungsfähigkeit von Vereinigungen, wobei für Arbeitnehmervereinigungen gilt, dass nicht jede tarifwillige Arbeitnehmerkoalition als Gewerkschaft i.S.v. § 2 Abs. 1 TVG als Tarifvertragspartei anzuerkennen ist. So hat das BAG am 14.12.2010 (1 ABR 19/10, NZA 2011, 289 hierzu etwa Segebrecht, jurisPR-SozR 13/2011 Anm. 1) die Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) wegen nicht ausreichender Durchsetzungskraft und organisatorischer Leistungsfähigkeit festgestellt. Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde mangels ausreichender Substanziierung nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschl. v. 10.3.2014 – 1 BvR 1104/11).
Hinweis:
Entscheidungen über die Tariffähigkeit einer Vereinigung können erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben. Infolge der Entscheidung des BAG v. 14.12.2010 kam es wegen § 10 Abs. 4 AÜG a.F., nunmehr §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AÜG (sog. Equal-Pay-Anspruch) zu nachträglichen Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger in großer Höhe gegenüber den betroffenen Arbeitgebern (zur sozialrechtlichen Seite s. etwa BSG 4.9.2018 – B 12 R 4/17 R, hierzu Sartorius, ZAP F. 18, S. 1639 f. und Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 3/2019 Anm. 6).
Die Entscheidung über die Tariffähigkeit erfolgt im Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG), einschlägig ist v.a. die Vorschrift des § 97 ArbGG. Nach Abs. 2 dieser Norm ist das LAG zuständig, sodass nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung steht.
Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG, so das BVerfG in einer Nichtannahmeentscheidung vom 13.9.2019 (1 BvR 1/16, NZA 2019, 1649). Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen eröffnet keinen unbegrenzten Rechtsweg. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können.
Ferner verweist das BVerfG auf seine bisherige Rechtsprechung (s. etwa Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u.a., NZA 2017, 915), wonach es mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit vereinbar ist, nur solche Koalitionen an der Tarifautonomie teilnehmen zu lassen, die in der Lage sind, den von der staatlichen Rechtsordnung freigelassenen Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge sinnvoll zu gestalten, um so die Gemeinschaft sozial zu befrieden. Es begegne demnach keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn hier das LAG zur Beurteilung der sozialen Mächtigkeit maßgeblich auf die Zahl und Zusammensetzung der Mitglieder der Beschwerdeführerin abgestellt hat. Ohne eine gewisse Geschlossenheit der Organisation und Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler wäre eine Arbeitnehmervereinigung vom guten Willen der Arbeitgeberseite und anderer Arbeitnehmerkoalitionen abhängig und könne den Aufgaben der Tarifautonomie nicht gerecht werden. Das Bedürfnis, solche Mindestanforderungen an die Durchsetzungsfähigkeit von Gewerkschaften zu stellen, entfalle weder durch das Tarifeinheitsgesetz (etwa aufgrund der Neuregelung zur Tarifkollision in § 4a TVG) noch durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns.
2. Überwachungspflichten bei Berufungseinlegung über das beA
Das BAG (Beschl. v. 7.8.2019 – 5 AZB 16/19, NZA 2019, 1237) hat erstmalig zu den Überwachungspflichten eines Rechtsanwalts entschieden.
Das ArbG hat mit Urt. v. 19.11.2018 der Klage eines Arbeitnehmers auf Überstunden u.a. stattgegeben. Das Urteil wurde der Beklagten, die erstinstanzlich anwaltlich nicht vertreten war, am 5.12.2018 zugestellt. Am 8.1.2019 ging im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (im Folgenden: EGVP) des LAG Hamm eine aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) übermittelte Berufungsschrift ein. Das LAG erteilte am 22.1.2019 dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Hinweis auf die verspätete Berufungseinlegung. Dieser teilte mit Schriftsatz vom 26.1.2019 mit, die Berufungsschrift sei per beA am 28.12.2018 an das LAG übermittelt worden. Hierzu legte er eine Übermittlungsdatei vor, wonach die Beruf...