In der gerichtlichen Praxis war die Einbeziehung des Antragsgegners, z.B. durch Zustellung des Verfügungsantrags, Aufforderung zur Erwiderung oder Anberaumung einer mündlichen Verhandlung lange Zeit die ultima ratio. Entgegen der gesetzlichen Regel des § 937 Abs. 2 ZPO wurde die weitaus größere Zahl der Verfügungsanträge ohne mündliche Verhandlung erledigt. Auch kam es nur selten vor, dass dem Antragsgegner auf einen Verfügungsantrag hin eine Möglichkeit der Stellungnahme gewährt wurde. Stattdessen richteten sich Blick und Gehör des Gerichts häufig auf den Antragsteller: Legte er einen per se überzeugenden Verfügungsantrag vor, so wurde er regelmäßig mit einem postwendend überstellten Beschluss belohnt. Wies sein Antrag aus Sicht des Gerichts Lücken oder Widersprüche auf, so konnte er mit einem Hinweis rechnen. Ließen sich die vom Gericht erkannten Mängel nicht beheben, so wurde eine Rücknahme oder Zurückweisung (§ 922 Abs. 3 ZPO) dem Antragsgegner nicht mitgeteilt. Selbst wenn der Antragsgegner später (z.B. durch Mitteilung des Schutzschriftenregisters) Kenntnis von dem Verfahren erlangte, war es ihm nicht immer möglich, das Geschehen zu rekonstruieren, da Hinweise i.d.R. mündlich erteilt und nur unzureichend dokumentiert wurden.
Dogmatisch begründet wurde diese für Gerichte und Antragsteller bequeme Praxis mit § 922 Abs. 3 ZPO, in dem die Verwirklichung eines allgemeinen Rechtsgedanken gesehen wurde, nach dem die Gerichte zur Wahrung eines Überraschungseffekts verpflichtet seien. Dabei wurde geflissentlich übersehen, dass dieser z.B. im Arrestverfahren oder bei der Sicherungsverfügung schlüssige Gedanke bei der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs nach einer Abmahnung jeder Grundlage entbehrt. In den typischen Fallkonstellationen kam eine Überraschung schon deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsgegner bereits durch die Abmahnung über die Absicht der Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs informiert war. Dem Antragsgegner wurde sein rechtliches Gehör also ohne jede Not versagt.
Diese Praxis wurde schon vor der Entscheidungskaskade des BVerfG kritisch betrachtet, gerade weil das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes missbrauchsanfällig ist und mit der Gefahr einhergeht, dass ungerechtfertigte Verbote auf Grundlage einer reinen Wahrscheinlichkeitsprüfung erlassen werden (Greger, Vorschläge zur Modernisierung des Rechts der einstweiligen Verfügung [2009], S. 9 f.).