Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls stellt in der Praxis nicht selten eine Art „Friedensangebot” der Staatsanwaltschaft dar, dessen Annahme im beiderseitigen Interesse liegen kann: Das Verfahren findet rasch Eingang in die Erledigungsstatistik, während der Angeklagte glimpflich davonkommt. Die Erfolgsaussichten eines etwaigen Einspruchs müssen daher sehr sorgfältig geprüft werden. Unterläuft dem Verteidiger hier ein Fehler, etwa indem er übersieht, dass eine nach § 40 Abs. 3 StGB erfolgte Schätzung der Einkünfte des Mandanten zu einer überaus günstigen Tagessatzhöhe geführt hat, kann er sich regresspflichtig machen (Freyschmidt/Krumm, Verteidigung im Verkehrsstrafrecht, 12. Aufl., Rn 830).
Hinweis:
Bislang kann der Einspruch schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden (§ 410 Abs. 2 StPO). Allerdings sieht der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz” (hierzu ausführlich Burhoff, StRR 4/2024, 10) eine Änderung des § 32d StPO dahingehend vor, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl und dessen Rücknahme künftig elektronisch übermittelt werden müssen.
Die Gefahr, dass ein Einspruch „nach hinten losgeht”, resultiert insb. daraus, dass im Strafbefehlsverfahren das Verschlechterungsverbot nicht gilt, sodass das Amtsgericht jederzeit eine höhere Strafe ausurteilen kann als im Strafbefehl vorgesehen.
Hinweis:
Anders ist dies nur dann, wenn der Einspruch auf die Tagessatzhöhe beschränkt wird. In diesem Fall kann das Gericht mit Zustimmung aller Verfahrensbeteiligter ohne Hauptverhandlung entscheiden und darf hierbei nicht zum Nachteil des Angeklagten von der Festsetzung im Strafbefehl abweichen (§ 411 Abs. 1 S. 3 StPO).
In allen anderen Fällen besteht dagegen die Möglichkeit zur Verhängung einer höheren Strafe, auch bei unverändertem Sachverhalt und ohne Hinzutreten neuer strafschärfender Umstände (OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.1.2006 – 1 Ss 5/06, StV 2007, 232).
Hinzu kommt, dass eine Rücknahme oder zumindest eine Beschränkung des Einspruchs ab dem Aufruf der Sache der Zustimmung der Staatsanwaltschaft bedarf (§ 411 Abs. 3 S. 2, § 303 S. 1 StPO). Zu deren Erteilung wird diese insb. bei für den Angeklagten ungünstig verlaufender Beweisaufnahme häufig nicht bereit sein.
Hinweis:
In seine Erwägungen einbeziehen muss der Verteidiger auch, dass das Amtsgericht keine Hinweispflicht trifft, wenn es die Strafe verschärfen will (KK-StPO/Maur, § 411 Rn 35). Es kann also durchaus vorkommen, dass der Angeklagte erst bei der Urteilsverkündung erfährt, dass das Gericht die im Strafbefehl vorgesehene Sanktion für zu milde hält. Eine Ausnahme wird lediglich für den (praktisch seltenen) Fall angenommen, dass eine im Strafbefehl vorgesehene Strafaussetzung zur Bewährung in Wegfall geraten soll (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 411 Rn 11).
Zwar kann das Urteil nach den allgemeinen Regeln mit der Berufung oder der Revision angefochten werden, wobei im letzteren Fall der revisionsrechtliche Grundsatz gilt, dass die Strafzumessung Sache des Tatrichters ist, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist (BGH, Urt. v. 14.4.2022 – 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201). Das Revisionsgericht kann daher nur eingreifen, wenn dem Tatrichter bei der Sanktionsbemessung ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Ein solcher liegt jedoch nicht schon deshalb vor, wenn die Erhöhung der Strafe gegenüber dem Strafbefehl nicht gesondert begründet wird. Das Amtsgericht unterliegt hier keiner erweiterten Darlegungs- oder Erörterungspflicht im Urteil (KK-StPO/Maur, a.a.O.).