Mit Urteil vom 21.12.2016 (5 AZR 374/16) hat das BAG entschieden, dass bei der Auslegung des Mindestlohngesetzes die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerentsenderecht zu beachten ist. Danach sind alle zwingend und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Bestandteile des Mindestlohns (EuGH, Urt. v. 12.2.2015 – C-396/13, Sähköalojen ammattiliitto).
Die Parteien stritten nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung über Differenzlohnansprüche i.H.v. 1.898,75 EUR brutto, gestützt auf die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs. Die Klägerin ist seit 2006 bei der Beklagten als Telefonistin im Schichtdienst acht Stunden täglich zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 1.280,00 EUR beschäftigt. Der anwendbare Vergütungstarifvertrag bestimmte, dass sich das monatliche Bruttogrundgehalt einer Telefonistin bei nachgewiesener Befähigung und Fertigkeit der selbstständigen Funkkanalbedienung um 30,68 EUR je Kanal (max. 122,71 EUR) erhöht, unabhängig von deren tatsächlicher Bedienung. Weiter gewährte die Beklagte zwei Leistungsprämien: Eine aus verschiedenen Auftragsarten der Telefonannahme und Funkvermittlung im Vergleich aller Mitarbeiter, die Zweite nach allgemeinen Kriterien wie Sprache, Höflichkeit, Korrektheit und Zuverlässigkeit. In den Monaten Januar bis Juli 2015 zahlte die Beklagte der Klägerin jeweils neben dem Bruttogrundgehalt i.H.v. 1.280 EUR, Wechselschichtzulagen i.H.v. 243,75 EUR brutto, Funkprämien i.H.v. 122,71 EUR brutto sowie zwei Leistungsprämien i.H.v. 81,81 EUR brutto (LP1) und 51,13 EUR brutto (LP2). Mit der Zahlungsklage forderte die Klägerin weitere Vergütung. Bei durchschnittlich 182,5 Stunden im Monat müsse der monatliche Bruttogrundlohn 1.551,25 EUR betragen. Die Zulagen und Prämien würden den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfüllen.
Das BAG stellt die erstinstanzliche Entscheidung wieder her und wies die Klage ab. Erstens, ist die Klagebegründung bereits unschlüssig, weil die Klägerin ihre Forderung nicht nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern anhand der arbeitsvertraglich vereinbarten monatlichen Stundenzahl berechnet hat. Weil der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 i.V.m. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG) entsteht, ist die schlüssige Darlegung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden erforderlich. Sie kann nicht durch die Behauptung eines Stundendurchschnitts ersetzt werden, insbesondere, wenn Zeiten ohne Arbeitsleistung, aber fortbestehendem Vergütungsanspruch (z.B. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen oder Urlaub) enthalten sind, für die das Mindestlohngesetz mangels tatsächlicher Arbeitsleistung keine Ansprüche begründet.
Zweitens, ist der gesetzliche Mindestlohn nach § 362 BGB erfüllt. Der Arbeitgeber erfüllt den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 EUR (ab dem 1.1.2017: 8,84 EUR) ergibt. Nach der Gesetzesbegründung und der Rechtsprechung des EuGH sowie des Fünften Senats ist jegliche Leistung und jeder Erfolg Gegenleistung im Sinne des Mindestlohns, nicht nur die Normalleistung. Dem entspricht auch der Gesetzeszweck, jedem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewährleisten. Dem dient jede dem Arbeitnehmer verbleibende Vergütungszahlung des Arbeitgebers, unabhängig davon, zu welcher Tageszeit, unter welchen Umständen oder in welcher Qualität die Arbeit erbracht wurde. Diese normzweckorientierte Auslegung des Mindestlohnbegriffs erfüllt die zuletzt vom EuGH geforderte Transparenz. Konkret erfüllen alle drei streitigen Vergütungsbestandteile den gesetzlichen Mindestlohn: Wechselschichtzulage, selbst wenn sie abhängig von der Lage der Arbeitszeit bezahlt würde, Funkkanalbedienungszulage und die leistungs- und erfolgsbezogenen Leistungsprämien 1 und 2.
Hinweise:
1. |
Zur Begründung der Klage in solchen Fällen ist stets die Darlegung der tatsächlich gearbeiteten Stunden erforderlich. Nicht ausreichend ist eine Durchschnitts- oder Referenzbetrachtung, jedenfalls wenn Zeiten ohne Arbeitsleistung einbezogen sind (z.B. Zeiten der Entgeltzahlung aufgrund EFZG, BUrlG, § 615 S. 1 BGB, § 616 Abs. 1 BGB). |
2. |
Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn wird – anders als der Mindestlohn nach dem AEntG – durch alle geleisteten Zahlungen erfüllt, die dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben und als Gegenleistung für die Arbeitsleistung bezahlt werden (vgl. EuGH, Urt. v. 12.2.2015 – C-396/13, Sähköalojen ammattiliitto, Rn 42, 44, 68; BT-Drucks 18/1558, S. 28; BAG, Urt. v. 25.5.2016 – 5 AZR 135/16, Rn 29 f.). |
3. |
Keine Erfüllungswirkung besitzen Zahlungen
a) |
mit gesetzlicher Zweckbestimmung zusätzlich zur Vergütung, wie z.B. Nachtzuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG oder |
b) |
welche nicht als Gegenleistung erbracht werden, beispielsweise für Zeiten nichtgeleisteter Ar... | |