1. Anwendungsbereich des KSchG
In Betrieben und Verwaltungen, in denen i.d.R. zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des 1. Abschnittes des KSchG mit Ausnahme der §§ 4 bis 7, 13 Abs. 1 S. 1 u. 2 KSchG grundsätzlich nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat, § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG. In solchen Kleinbetrieben müssen bei der arbeitgeberseitigen Kündigung insbesondere die Voraussetzungen der sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 u. 3 KSchG nicht vorliegen; zu beachten ist hingegen von Arbeitnehmern in Kleinbetrieben die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 S. 1 KSchG für die Geltendmachung fast aller Fälle der Rechtsunwirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung, insbesondere auch wegen Verstoßes gegen die §§ 138, 242 BGB oder wegen Diskriminierung.
Aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 25.1.1998 (NJW 1998, 1475) und im Hinblick auf die hierauf ergangene Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG v. 21.2.2001 u. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08) kann unter Umständen auch in Kleinbetrieben ein verfassungsrechtlich gebotener Schutz des Arbeitsplatzes gem. Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme einfordern (s. etwa näher Bader in: KR, 11. Aufl., § 23 KSchG Rn 84 ff.).
Führt ein Arbeitgeber mehrere Betriebe, z.B. selbstständige Filialen, die zwar bei der Einzelbetrachtung den gesetzlichen Schwellenwert gem. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG unterschreiten, bei denen aber insgesamt eine solche Anzahl von Arbeitnehmern tätig ist, dass der Schwellenwert überschritten wird, kann u.U. für alle Arbeitnehmer sämtlicher Betriebe dieses Arbeitgebers der erste Abschnitt des KSchG Anwendung finden. Allerdings ist der erste Abschnitt des KSchG nicht allein deshalb anzuwenden, wenn bei einem in mehrere kleine, organisatorisch verselbstständigte Einheiten gegliederten Unternehmen insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Maßgeblich ist vielmehr eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende, wertende Gesamtbetrachtung dahingehend, ob die Anwendung der Kleinbetriebsklausel nach Maßgabe des allgemeinen Betriebsbegriffs unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse dem mit ihr verbundenen Sinn und Zweck (noch) gerecht wird (BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, NZA 2016, 1196).
Im vorliegenden Fall waren zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers neben diesem neun weitere Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte betrieb eine im Handelsregister als selbstständige Niederlassung eingetragene weitere Betriebsstätte. Deren Leiter war für die Einstellung und Entlassung nur des Personals der Niederlassung verantwortlich. Gelegentlich hielten sich Mitarbeiter der Niederlassung zu Meetings und Präsentationen im Betrieb der Beklagten auf. Weitergehende Verbindungen bestanden zwischen den beiden Betrieben nicht. Aufgrund dieser Umstände war, so das BAG, der Anwendungsbereich des KSchG nicht eröffnet.
Hinweis:
Die Darlegungs- und Beweislast für die betrieblichen Geltungsvoraussetzungen nach § 23 Abs. 1 KSchG tragen grundsätzlich die Arbeitnehmer. Etwaigen Schwierigkeiten, die sich mangels eigener Kenntnismöglichkeiten ergeben, ist durch die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen (s. BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12 (Rn.27), NZA 2013, 726).
2. Außerordentliche Kündigung – Verwertung eines "Zufallsfundes" bei verdeckter Videoüberwachung
Dem Urteil des BAG v. 22.9.2016 (2 AZR 848/15, ZAP EN-Nr. 101/2017 = NZA 2017, 112 = NJW 2017, 843 m. Anm. Wybitul; s. ferner Reitz NZA 2017, 273 und Fuhlrott/Schröder NZA 2017, 278) lag ein Kündigungsrechtsstreit zugrunde, dessen zentrale Frage es war, ob zu Lasten der Arbeitnehmerin ein "Zufallsfund" verwertet werden konnte, der sich bei einer verdeckten Videoüberwachung ergab.
Der beklagte Arbeitgeber stellte in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin einen erheblichen Inventurverlust fest und kam nach daraufhin durchgeführten Recherchen zu dem Schluss, dass dieser Verlust vom Personal zu verantworten sei. Weitere Kontroll- und Revisionsmaßnahmen sowie die Überprüfung der Mitarbeiter durch Taschenkontrollen führten nicht zur Aufklärung. Daraufhin beantragte der Arbeitgeber beim Betriebsrat die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung im Kassenbereich zum Zwecke der Aufklärung von Straftaten zu seinen Lasten. Als Grund für die Videoüberwachung gab der Arbeitgeber Diebstahl von Zigaretten an, wobei sich die Überwachung gegen zwei genannte Mitarbeiterinnen richten solle, nicht gegen die Klägerin. Im Rahmen der dann durchgeführten Maßnahme stellte die Beklagte fest, dass die als Kassiererin tätige Klägerin (die zudem stellvertretende Filialleiterin war) durch Manipulation eines Kassenvorgangs sich um einen Betrag i.H.v. 3,25 EUR zu Unrecht bereichert hat. Die Klage gegen die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene außerordentliche, fristlose Kündigung blieb erfolglos.
Das BAG prüft zunächst, ob die Gerichte gehindert sind, wegen dem nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin den...