Grundsätzlich trägt jeder Unfallbeteiligte die Beweislast für die ihm günstigen Umstände, sofern nicht das Gesetz eine andere Beweislastverteilung vorsieht.
a) Allgemeine Beweislast
Dem Geschädigten (Anspruchsteller) obliegt deshalb die Beweislast
- für einen Unfall beim Betrieb;
- für die Person des Halters und/oder Fahrers;
- für den eingetretenen (Personen- und/oder Sach-)Schaden;
- für die Kausalität zwischen Unfall und Schadenseintritt;
- im Falle seines (von der Gegenseite) behaupteten Mitverschuldens für das Vorliegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG und in den Fallgestaltungen des § 17 StVG für das Vorliegen eines (für ihn) unabwendbaren Ereignisses i.S.d. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG;
- im Falle der Insassenhaftung und eines vereinbarten Haftungsausschlusses für das Vorliegen einer entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeförderung i.S.d. § 8a StVG.
Der Halter (Anspruchsgegner) hat die Beweislast für
- das Vorliegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG und in den Fallgestaltungen des § 17 StVG für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses i.S.d. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG, einschließlich der zu fordernden gesteigerten Sorgfalt bzw. der Nichtursächlichkeit ihres Fehlens (BGH NJW 1982, 1149);
- das Vorliegen einer "Schwarzfahrt" i.S.d. § 7 Abs. 3 StVG (im einzelnen hierzu Hentschel/König, a.a.O., § 7 StVG Rn 60);
- das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 StVG;
- die Mithaftung des Geschädigten (BGH NJW 2014, 217).
b) Anscheinsbeweis
Unter Umständen kommen dem Beweisführer bestimmte Beweiserleichterungen zugute. Hierzu gehört im Straßenverkehrsrecht aufgrund der Typizität mancher Unfallverläufe vor allem der sog. Anscheinsbeweis. Voraussetzung ist, dass sich unter Berücksichtigung aller unstreitigen und festgestellten Einzelumstände und besonderen Merkmale des Sachverhalts ein für die zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung typischer Geschehensablauf ergibt (BGH NJW 1996, 1828; NJW 2016, 1098; NJW 2016, 2024). Dann kann von einer feststehenden Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder umgekehrt von einem feststehenden Erfolg auf eine bestimmte Ursache geschlossen werden (BGH NJW 1997, 528). Die beweisbelastete Partei muss dann nur den eingetretenen Erfolg streng beweisen, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf eine bestimmte (behauptete) Ursache hinweist. Die Gegenpartei kann die Überzeugung des Gerichts erschüttern, indem sie konkrete Tatsachen behauptet und im Falle des Bestreitens beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines vom gewöhnlichen abweichenden Verlaufs, d.h. einer anderen Ursache ergibt. Gelingt ihr dies, muss die beweisbelastete Partei den Vollbeweis erbringen. An einen Anscheinsbeweis kann in folgenden Fallgestaltungen zu denken sein:
- Abkommen von der Fahrbahn: Wer mit seinem Fahrzeug in die Gegenfahrbahn schleudert, gegen den spricht der erste Anschein (BGH NJW-RR 1986, 384);
- Alkoholeinfluss: Das Vorliegen von absoluter Fahruntüchtigkeit beim Fahrer eines Kfz infolge Alkoholgenusses führt nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Betriebsgefahr; vielmehr muss sich diese auch konkret, z.B. durch eine verminderte Reaktionsschnelligkeit, ausgewirkt haben (vgl. BGH NJW 1995, 1029);
- Auffahrunfall: Der Anscheinsbeweis spricht dafür, dass der auffahrende Kfz-Fahrer unaufmerksam oder mit unzureichendem Sicherheitsabstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug gefahren ist (BGH NJW-RR 2007, 680; NJW 2017, 1177);
- Auffahren infolge mangelhafter Beleuchtung: Die mangelhafte Beleuchtung ist nach dem ersten Anschein für das Auffahren durch ein anderes Fahrzeug ursächlich (BGH NJW 2005, 1351); dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug aufgrund anderer Lichtquellen von weitem gut sichtbar war;
- Begegnungsunfall: Hat ein Verkehrsteilnehmer seine Fahrbahnseite nicht eingehalten, spricht dies prima facie für dessen Unfallursächlichkeit. Gleiches gilt im Falle des Überholens trotz Gegenverkehrs oder bei einer Kollision zwischen einem Linksabbieger und einem entgegenkommenden Geradeausfahrer (BGH NJW 2005, 1351; NZV 2007, 294);
- Fehlen der Fahrerlaubnis: Ein Anscheinsbeweis für ein mitursächliches Verschulden am Unfall besteht nicht;
- Geschwindigkeitsüberschreitung: Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit spricht dafür, dass der betreffende Verkehrsteilnehmer aus diesem Grund nicht mehr rechtzeitig vor einem auftauchenden Verkehrshindernis anhalten oder ausweichen konnte;
- Zweite Rückschaupflicht: Bei der Kollision zwischen einem Linksabbieger und einem rückwärtigen Überholer spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Linksabbieger die sog. zweite Rückschaupflicht (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO) verletzt hat;
- Rückwärtsfahren auf Parkplatz: Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht bei Parkplatzunfällen der erste Anschein dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat (BGH NJW 2017, 1175).
Hinweis:
Der Beitrag wird in der nächsten Ausgabe mit Teil 2 zur Haftung des Fahrers (...