Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Familien mit "Hartz IV"-Leistungen leben, ist in jüngster Zeit auf knapp zwei Millionen gestiegen (Datengrundlage der Bundesagentur für Arbeit; FAZ v. 26.10.2017). Ein Grund hierfür dürfte u.a. die wachsende Zahl anerkannter Flüchtlinge sein, die nach und nach vom Asylsystem in das Hartz-IV-System wechseln. Damit gewinnt die Frage an Relevanz, ob die für die Kinder gewährten Leistungen bei der Bedarfsbemessung im Rahmen des ALG II zu berücksichtigen sind oder nicht.
Der Anspruch auf ALG II setzt neben den anderen in § 7 SGB II genannten Merkmalen die Hilfsbedürftigkeit voraus. Diese wiederum liegt (u.a.) dann nicht vor, wenn das zu berücksichtigende Einkommen für den Lebensunterhalt ausreicht (§ 9 Abs. 1 SGB II). Dieses in den §§ 11–11 b SGB II näher umschriebene Einkommen ist also vorrangig einzusetzen. Grundsätzlich gehört das Kindergeld zum Einkommen des Kindergeldberechtigten, dem es auch ausbezahlt wird, sog. Zuflussprinzip (BSG, Urt. v. 8.2.2007 – B 9 b SO 5/06 R, Rn 23; zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG, Beschl. v. 11.3.2010 – 1 BvR 3163/09). Es kann also bei der Bemessung seiner ALG-II-Leistung in Abzug gebracht werden.
Die hier entscheidende Abweichung findet sich in § 11 Abs. 1 S. 4, 5 SGB II:
Zitat
"Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für die zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28 [SGB II], benötigt wird."
Kinder gehören vor allem dann zur Bedarfsgemeinschaft, wenn sie noch im elterlichen Haushalt leben, unverheiratet sind, noch nicht das 25. Lebensjahr erreicht haben und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten können (§ 7 Abs. 3 SGB II).
Hinweis:
Wenn das Gesetz von "Zurechnung" beim Kind spricht, heißt das nicht, dass das Kindergeld dem Kind physisch übertragen wird oder dass es einen Herausgabeanspruch darauf hat. Es handelt sich hierbei lediglich um eine fiktive Rechengröße im Rahmen des Einkommensbegriffs, an die ggf. bestimmte Rechtsfolgen geknüpft werden können. Dies wird nicht selten missverstanden und führt zu falschen rechtlichen Einschätzungen.
Das Gesetz verlangt für diese Ausnahmeregelung weiter, dass das Kindergeld für die Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes "benötigt" wird. Davon wird man i.d.R. ausgehen können, denn dass das Kind selbst keine ausreichende Mittel für sich hat, ergibt sich bereits aus der Definition des "Lebens in einer Bedarfsgemeinschaft". Da der Kindergeldberechtigte selbst ALG-II-Bezieher ist, wird er das Kindergeld auch für den Unterhalt seines Kindes benötigen (s. dazu BSG, Urt. v. 2.7.2009 – B 14 AS 75/08 R, FF 2010, 44).
Lebt das Kind nicht mehr im elterlichen Haushalt, verbleibt es – zunächst – bei der Grundregel, wonach das Kindergeld als Einkommen des ALG-II-Beziehers gilt und insoweit seinen Sozialanspruch mindert. Allerdings hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, im Verordnungswege u.a. zu bestimmen, welche "weiteren Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind" (§ 13 SBG II). Nach der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld-II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II–V) vom 17.12.2007 (BGBl I, S. 2942) gilt es nicht als Einkommen des ALG-II-Beziehers, wenn er das Kindergeld direkt an das nicht in seinem Haushalt lebende Kind weiterleitet (Fall hierzu in BSG, Urt. v. 16.4.2013 – B 14 AS 81/12 R). Durch diese Transaktion kann sich der ALG-II-Bezieher also der Anrechnung des Kindergeldes entziehen. Die Weiterleitung muss aber zeitnah, d.h. im gleichen Monat des Bezugs erfolgen (Estelmann SGB II, § 11 Rn 43 m.w.N. zur Rechtsprechung; zu den Konsequenzen für die sozialrechtliche Situation des Kindes s. unten).
Es wird vereinzelt die Auffassung vertreten, dass das Kindergeld generell nicht den Eltern bzw. einem Elternteil, sondern dem Kind zuzurechnen sei. Eine Anrechnung des Kindergeldes auf Sozialleistungen an die Eltern sei deshalb nicht zulässig. Begründet wird dies mit der Unterhaltsrechtsreform von 2007 und der Neuregelung gem. § 1612b BGB (R. Hofmann, Sozialrecht Regensburg: Einkommensanrechnung von "überschießendem" Kindergeld, s. http://kanzlei-hhs.de/sozialrecht-regensburg-einkommensanrechnung-von-uberschiesendem-kindergeld ). Danach ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden. Dem kann nicht gefolgt werden. Es handelt sich hier um eine rein zivilrechtliche Regelung, die die Unterhaltsansprüche zwischen Eltern und Kind betrifft (so im Ergebnis auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 15.10.2015 – L 6 AS 1100/15). Das Sozialrecht trifft hier eindeutige – und differenziertere – Regelungen und ist schon als lex specialis vorrangig. Auch Billigkeitsgründe können hier nicht greifen, da eine fixe Zuordnung des ...