Besondere sozialrechtliche Relevanz erhält dieses Rechtsinstitut aber durch § 74 Abs. 1 S. 4 EStG: Danach kann die Auszahlung des Kindergeldes (u.a.) auch an die Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt. Anspruchsberechtigt können insoweit Sozialleistungsträger, Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen sein. Diesen Stellen steht ein Antragsrecht auf Abzweigung zu. Der Antragsteller muss seinen Anspruch gegen einen bestimmten Kindergeldberechtigten richten (BFH, Beschl. v. 1.2.2013 – III B 222/11, BFH/NV 2013, 727). Der Antrag selbst ist aber an die Familienkasse zu richten, die darüber entscheidet. Sie hat dabei einen gewissen Ermessensspielraum. Dieser liegt nicht vor ("Ermessensreduzierung auf Null"), wenn der Kindergeldberechtigte keinerlei Unterhalt leistet, auch wenn er hierzu nicht in der Lage ist. Dann ist die Abzweigung gerechtfertigt. Umgekehrt ist der Antrag abzuweisen, wenn Leistungen mindestens in Höhe des aktuellen Kindergeldbetrags erbracht werden (BFH v. 18.4.2013 – V R 48/11; ausführlich Avvento, in: Kirchhof, EStG 16. Aufl. 2017, § 2 Anm. 2 m.w.H.). Dies kann auch durch Sachzuwendungen oder persönliche Betreuungsleistungen (etwa Besuche bei stationärer Unterbringung des Kindes) geschehen.
Es bleibt allerdings zu fragen, ob dies auch dann gilt, wenn der Kindergeldberechtigte Bezieher von ALG II ist und mit dem Kind in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Nach der Zuordnungregel des § 11 Abs. 1 S. 5 SGB II ist das Kindergeld dann in keinem Fall dem Kindergeldberechtigten zuzuordnen, unabhängig davon, ob diese Vorschrift restriktiv ausgelegt wird oder nicht. Was nicht zugeordnet ist, kann auch nicht abgezweigt werden! Diese Divergenz lässt sich nur auflösen, indem man § 74 EStG als vorrangige lex specialis gegenüber § 11 SGB II begreift. Andernfalls würde die Abzweigungsregelung teilweise leerlaufen.
Gleiches gilt, wenn die Abzweigung gegenüber einem Kindergeldberechtigten erfolgen soll, der Grundsicherung bezieht und das Kindergeld für sein minderjähriges Kind erhält. Die Zurechnungsregel nach § 82 Abs. 1 S. 3 SGB XII muss danach gegenüber § 74 EStG zurücktreten.
Praxishinweis:
Wenn Sozialhilfeträger Abzweigungsfälle nicht selbst stellen, versuchen sie mitunter, das Kind zu veranlassen, einen Abzweigungsantrag für sich selbst zu stellen. Dazu ist das Kind aber nicht verpflichtet (BSG v. 26.8.2008 – B 8/8b SO 16/07 R; BFH v.17.4.2008 – III R 33/05). Gelegentlich wird den Eltern auch empfohlen, das Kindergeld direkt von der Familienkasse auf ein Konto des Kindes überweisen zu lassen, da das "doch viel praktischer" sei. In beiden Fällen würden die beim Kind ankommenden Beträge sofort als dessen eigenes Einkommen gewertet und von seinen Sozialleistungen abgezogen werden. Diese ausgesprochen bedenkliche Praxis wird von den Betroffenen oft nicht durchschaut und sogar gesetzliche Betreuer für erkrankte Kinder handeln hier manchmal aus Unkenntnis gegen die Interessen der Betreuten.