Während sich die Anrechnungsfragen bei Sozialleistungen für die Eltern noch weitgehend auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen lösen lassen, ergeben sich rechtsdogmatische Schwierigkeiten, wenn es um Sozialleistungen an das Kind geht. Auch in der Praxis besteht häufig Streit und Verwirrung bei Eltern, Kindern, Sozialbehörden und auch gesetzlichen Betreuern, die für behinderte Kinder eingesetzt sind.
In der Regel können Kinder frühestens bei Eintritt der Volljährigkeit Sozialleistungen erhalten, da vorher die Hilfsbedürftigkeit aufgrund der elterlichen Unterhaltspflicht nicht gegeben ist. Da einerseits die Dauer der Sozialleistungen sich über viele Jahrzehnte erstrecken kann, andererseits das Kindergeld zum Teil auch über sehr lange Zeiträume zu gewähren ist, kommt es häufig vor, dass beide Konstellationen in einer Person zusammentreffen.
Besonders relevant ist dies beim Kindergeld für behinderte Kinder, das über das 25. Lebensjahr hinaus bis maximal zum Lebensende des Kindes gezahlt werden kann. Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor dem 25. Lebensjahr eingetreten und ursächlich dafür ist, dass das Kind seinen Lebensunterhalt nicht selbst erwirtschaften kann (§§ 62, 63 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG). Der Kindergeldanspruch kann dabei dann ausgeschlossen sein, wenn das erwerbsunfähige Kind durch Heirat einen Unterhaltsanspruch gegen den Ehepartner erwirbt (s. dazu BFH, Beschl. v. 15.2.2017 – III B 93/16).
1. Volljähriges Kind erhält Sozialleistungen (die Eltern nicht)
Ausgangspunkt ist zunächst die Anrechenbarkeit des Kindergeldes für den Fall, dass Kindergeld für ein volljähriges Kind gewährt wird, das selbst Sozialleistungen empfängt, während die kindergeldberechtigten Eltern derartige Leistungen nicht benötigen.
Für Kinder zwischen 18 Jahren und dem Erreichen des 25. Lebensjahres kann Kindergeld unter den in § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, 2 EStG genannten Voraussetzung geleistet werden, z.B., wenn sie als Arbeitssuchende gemeldet sind oder für einen Beruf ausgebildet werden. Wenn diese Kinder Leistungen nach Kapitel 3 SGB II erhalten, setzt auch dies Hilfsbedürftigkeit gem. § 9 Abs. 1 SGB II voraus. Diese ist dann gegeben, wenn das Einkommen (und Vermögen) des Kindes (ggf. der Bedarfsgemeinschaft) nicht ausreicht, die Hilfsbedürftigkeit zu verhindern. Hier liegt die Frage auf der Hand, ob das Kindergeld der Eltern in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist.
Nach der Grundregel des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II ist das, was als Geld dem Hilfsbedürftigen zufließt, als anrechenbares Einkommen zu behandeln. Da dem Kind das Kindergeld aber gerade nicht "zufließt", kommt diese Grundregel nicht zur Anwendung. Allerdings sieht § 11 Abs. 1 S. 5 SGB II dieser Vorschrift vor, dass das Kindergeld dem jeweiligen Kind "zuzurechnen" ist:
Auf den ersten Blick ist dies so zu verstehen, dass das im elterlichen Haushalt lebende Kind sich das Kindergeld (der Eltern) als eigenes Einkommen gegen seinen ALG-II-Anspruch anrechnen lassen muss. Der Sinn dieser Regelung liegt jedoch allein darin, den hilfsbedürftigen Elternteil vor der Anrechnung zu schützen. Damit wird die Familie entlastet, was letztlich auch dem Kind zugute kommt.
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen die Eltern nicht wegen der Unterhaltsbelastung für die Kinder ALG II oder Sozialgeld in Anspruch nehmen müssen (BT-Drucks 15/1516, S. 53; Schlegel/Voelzke, SGB II, § 11 Rn 50–53, auch zur Rechtsentwicklung). Die Regelung soll somit Entlastungscharakter für das Kind über den "Umweg" der Entlastung bei den Eltern haben. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung zu der Zurechnung beim Kind: "(...) da andernfalls (...) nicht die Abhängigkeit des Kindes vom Sozialgeld oder ALG II beseitigt werden kann." Danach soll das Kindergeld im Wege der fiktiven Zurechnung beim Kind real beim Kindergeldberechtigten verbleiben (da dort nicht anrechenbar), so dass das Kind davon profitieren kann. Die Schaffung einer zusätzlichen Belastung des Kindes über eine Anrechnung bei ihm selbst lag außerhalb der Vorstellungen des Gesetzgebers. Keineswegs hat der Gesetzgeber die damit eventuell verbundene sozialrechtlich Belastung des Kindes im Auge, nämlich im Falle dessen eigener – originärer – Hilfsbedürftigkeit.
Satz 5 knüpft an § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II (Zuflussprinzip) unmittelbar an, setzt ihn gleichsam als verwirklicht voraus (gleichlautende Regelung für den Kinderzuschlag gem. § 6a BKGG in § 11 Abs. 1 S. 4 SGB II; s. auch Hohm, SGB II, § 11, Rn 50 ff.). In Satz 1 ist ausschließlich der Kindergeldempfänger, nicht aber das Kind angesprochen. Mit anderen Worten: Satz 5 stellt nicht isoliert eine umfassende sozialrechtliche Zuweisung des Kindergeldes zwischen Kindergeldberechtigtem und seinem Kind dar. Die Regelung bezieht sich allein auf den Kindergeldberechtigten und unterbindet die ansonsten geltende Kindergeldzurechnung bei ihm. Bezieht das Kind selbst Sozialleistungen nach SGB II und ist eine Anrechenbarkeit des Kindergeldes zu prüfen, kann Satz 5 keine Anwendung finden. Die genannte Regelung ist somit im Sinne einer teleologischen Reduktion (...