1. Durchentscheiden bei fehlendem Ausspruch zu Abschiebungsverboten
Im Rahmen des Rechtsschutzes gegen einen Bescheid, der einen Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG als unzulässig verwirft, wird ein Anfechtungsbegehren gegen eine mit diesem Bescheid verbundene Abschiebungsanordnung oder -drohung allerdings regelmäßig dem erkennbaren Schutzbegehren nach (§ 88 VwGO) dahin auszulegen sein, dass (hilfsweise) die Feststellung nationalen Abschiebungsschutzes begehrt wird.
§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG enthält für die Abschiebungsandrohung materiell-rechtliche Voraussetzungen (Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG), zu deren Vorliegen auch dann, wenn nach § 34a AsylG eine Abschiebungsanordnung im Raum steht, nach § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG nunmehr eine ausdrückliche Feststellung in der Entscheidung über einen unzulässigen Asylantrag verlangt wird. Allein der Umstand, dass eine solche Feststellung nicht (ausdrücklich) getroffen worden ist, bedeutet nach dem Urteil des BVerwG vom 25.7.2017 (1 C 10.17, NVwZ-RR 2017, 887 ff. = Buchholz 402.251 § 31 AsylG Nr. 2) aber nicht, dass – positiv – die Voraussetzungen für nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Dass eine derartige ausdrückliche Feststellung des Bundesamts über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ergangen sei, sei nicht (gesetzliches) Tatbestandsmerkmal der Abschiebungsanordnungen bzw. -drohungen nach §§ 34a, 35 AsylG. Auch die (nunmehr) in § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG normierte Rechtspflicht zur (ausdrücklichen) Feststellung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG schaffe kein zusätzliches gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Die Feststellungspflicht erweitere zwar – formell – das (objektivrechtliche) Entscheidungs"programm" des Bundesamts. Sie erhöhe aber nicht – materiell-rechtlich – die Anforderungen an den Erlass von Abschiebungsanordnungen oder -drohungen nach §§ 34a, 35 AsylG.
Hinweis:
Für die Anfechtung einer Abschiebungsanordnung oder -drohung nach §§ 34a, 35 AsylG gilt der Grundsatz (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), dass ein Verwaltungsakt der gerichtlichen Aufhebung unterliegt, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist und die Gerichte nach § 86 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 VwGO verpflichtet sind, die Sache spruchreif zu machen, d.h. zu überprüfen, ob und ggf. inwieweit der angefochtene Verwaltungsakt den Kläger in seinen Rechten verletzt und deshalb aufzuheben ist. Die Gerichte haben bei der Überprüfung der Abschiebungsanordnung bzw. -drohung alle einschlägigen Rechtsnormen und – nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gem. § 86 Abs. 1 VwGO – alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenen Behörde zur Begründung des Verwaltungsakts angeführt worden sind oder nicht.
2. Islamistischer Gefährder: Abschiebungsanordnung
Zunehmend Bedeutung erlangt in der ausländerrechtlichen Praxis die Abschiebung von islamistischen Gefährdern. Rechtsgrundlage für eine dahingehende Abschiebungsanordnung ist § 58a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.7.2017 – 2 BvR 1487/17; Beschl. v. 26.7.2017 – 2 BvR 1606/17).
Hinweis:
Die Abschiebungsanordnung ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr.
Der Begriff der "terroristischen Gefahr" knüpft an die neuartigen Bedrohungen an, die sich nach dem 11.9.2001 herausgebildet haben. Diese sind in ihrem Aktionsradius nicht territorial begrenzt und gefährden die Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten. Trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs liegt nach der Rechtsprechung des BVerwG eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwGE 141, 100 Rn 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern geeignet sind (B...