Die Frage der Akteneinsicht des Verteidigers in den Fällen des nicht vollstreckten Haftbefehls ist ein Problem, dass die Praxis immer wieder beschäftigt. Dazu hat jetzt noch einmal das OLG München Stellung genommen (vgl. OLG München, Beschl. v. 22.1.2019 – 2 Ws 51/19, StRR 4/2019, 22; zu den Fragen eingehend auch Burhoff, EV, Rn 284 ff. m.w.N.). Nach dem Sachverhalt hatte das AG gegen den Beschuldigten in einem laufenden Ermittlungsverfahren einen Haftbefehl erlassen. Der Beschuldigte hatte sich dem Verfahren durch Flucht entzogen und war unbekannten Aufenthalts. Der Verteidiger des Beschuldigten hat gegen den Haftbefehl Beschwerde eingelegt und bis dahin nicht gewährte Akteneinsicht beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat das abgelehnt. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.
Das OLG (Beschl. v. 22.1.2019 – 2 Ws 51/19, StRR 4/2019, 22) hat in seiner Entscheidung an der h.M. in dieser Frage festgehalten (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 310 ff. m.w.N.). Solange in einem laufenden Ermittlungsverfahren ein bestehender Ergreifungshaftbefehl gegen den untergetauchten Beschuldigten noch nicht vollstreckt ist, habe der Verteidiger weder einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht noch auf Mitteilung des Haftbefehls (KG NStZ 2012, 588 = StRR 2011, 470 m. Anm. Burhoff; OLG München NStZ 2009, 110 = StRR 2008, 475 m. Anm. Herrmann). Die Verweigerung der Akteneinsicht verletze nicht das Recht des Beschuldigten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG oder dessen Anspruch auf Gewährleistung einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG. Das BVerfG (NStZ-RR 1998, 108) habe hierzu ausgeführt, ein vorläufig gegenüber dem Beschuldigten abgeschirmtes Ermittlungswissen der Strafverfolgungsbehörden sei wegen des Auftrags des Strafverfahrens, den Sachverhalt zu erforschen und die Wahrheit zu finden, verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar beschwere auch der bloße Erlass eines Haftbefehls gegen einen flüchtigen Beschuldigten. Seinem Informationsinteresse werde jedoch durch die Regelung der StPO insbesondere zur richterlichen Vernehmung ausreichend Rechnung getragen. § 115 Abs. 3 StPO bestimme, dass der Beschuldigte im Rahmen der Vorführung vor den zuständigen Richter nach Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen sei, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Weiterhin sei ihm Gelegenheit zu geben, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen. Diese Informationspflicht gehe über die Mitteilung des Inhalts des Haftbefehls hinaus und umfasse auch das die Haft veranlassende Belastungsmaterial in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Erst im Rahmen der nach der richterlichen Vernehmung gebotenen Prüfung des Haftbefehls werde das Strafgericht unter Berücksichtigung der Grundsätze des BVerfG (NStZ 1994, 551) zu beurteilen haben, welche Rechtsfolgen sich an eine etwaige Verweigerung der Akteneinsicht knüpfen.
Hinweis:
Die Entscheidung entspricht der h.M. in der Rechtsprechung. Ob dem Informationsinteresse des Beschuldigten allerdings, wie das BVerfG (a.a.O.) meint, durch die Vorschriften über die Vorführung des Beschuldigten (§ 115 StPO) gewahrt sind, kann man ggf. bezweifeln. Jedenfalls sollte man m.E. eine entsprechende Anwendung des § 147 Abs. 2 S. 2 StPO diskutieren.