1. Anforderungen an die Ausgestaltung des richterlichen Bereitschaftsdiensts
Das BVerfG hat in seinem Beschl. v. 12.3.2019 (2 BvR 675/14, ZAP EN-Nr. 249/2019 = NJW 2019, 1428) noch einmal/erneut zum richterlichen Bereitschaftsdienst Stellung genommen. Das Verfahren geht zurück auf zwei Wohnungsdurchsuchungen, die im September 2013 (!) morgens zwischen 4 Uhr und 5 Uhr von der Polizei und der Staatsanwaltschaft wegen Gefahr im Verzug angeordnet worden waren. Der (spätere) Beschuldigte wurde am frühen Samstagmorgen des 14.9.2013 von Rettungskräften in Rostock aufgefunden. Er befand sich infolge eines akuten Rauschzustands in hilfloser Lage. Da die Rettungskräfte baten, in der Wohnung nach Personaldokumenten und Hinweisen darauf zu suchen, was die Person zu sich genommen haben könnte, betraten die Polizeibeamten seine Wohnung, während der Beschuldigte in das Universitätsklinikum Rostock verbracht wurde. Dort fanden die Polizeibeamten u.a. zwei große Plastiktüten mit Cannabisprodukten. Aufgrund ihres Fundes gingen die Polizeibeamten von einem Verdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln aus. Sie hielten deshalb telefonisch Rücksprache mit der zuständigen Bereitschaftsstaatsanwältin, die um 4:44 Uhr die Durchsuchung der Wohnung zur Beschlagnahme von Beweismitteln anordnete. Ob sie zuvor versucht hatte, den zuständigen Ermittlungsrichter des AG Rostock zu erreichen, ließ sich der Ermittlungsakte nicht entnehmen. Bei der dann vollzogenen Durchsuchung wurden u.a. Cannabisprodukte beschlagnahmt. Die Rechtsmittel des Beschuldigten gegen die nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnungen und die gerichtlichen Bestätigungsbeschlüsse hatten keinen Erfolg. Den hat erst die Verfassungsbeschwerde gebracht, allerdings nur betreffend die Durchsuchungsanordnung der Bereitschaftsstaatsanwältin.
Das BVerfG (a.a.O.) geht von einer Verletzung der Grundrechte des Beschuldigten aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG aus. Die staatlichen Organe seien verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die effektive Durchsetzung des grundrechtssichernden Richtervorbehalts gem. Art. 13 Abs. 2 Hs. 1 GG gewährleistet sei. 13 GG verpflichte die für die Organisation der Gerichte zuständigen Organe der Länder und des Bundes, die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle – u.a. eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Gerichte – zu schaffen (BVerfGE 103, 142, 152 = NJW 2002, 1233; BVerfGE 139, 245, 267 = NJW 2015, 2787 = StRR 2015, 381 mit Anm. Laudon). Aus Art. 13 Abs. 2 GG folge aber nicht, dass an allen nach § 162 Abs. 1 S. 1 StPO für die ermittlungsrichterlichen Aufgaben zuständigen AG von Verfassungs wegen ein Richter "rund um die Uhr" erreichbar sein müsse. Artikel 13 Abs. 2 Hs. 2 GG sehe die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden als Ausnahme ausdrücklich vor. Dem Umstand, dass eine nächtliche Wohnungsdurchsuchung ungleich stärker in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift als zur Tageszeit, habe der Gesetzgeber mit § 104 StPO grds. Rechnung getragen. Diese Vorschrift gewährleiste – so das BVerfG – den gem. Art. 13 Abs. 1 GG gebotenen Schutz vor nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen jedoch nur unvollkommen. Soweit die in § 104 Abs. 3 StPO definierte Nachtzeit in den Monaten April bis September bereits um 4 Uhr morgens enden, bilde die Vorschrift nicht mehr die Lebenswirklichkeit ab. Vielmehr seien nach den heutigen Lebensgewohnheiten mindestens die Stunden zwischen 4 Uhr und 6 Uhr noch der Nacht zuzurechnen (vgl. § 758a Abs. 4 S. 2 ZPO). Daher sei es von Verfassungswegen geboten, dass sich der Schutz vor nächtlichen Wohnungsdurchsuchungen – insofern abweichend von § 104 Abs. 3 StPO – auch in den Monaten April bis September auf die Zeit von 4 Uhr bis 6 Uhr morgens erstreckt. Insoweit könnten nach Auffassung des BVerfG die Ausnahmeregelungen der Absätze 1 und 2 des § 104 StPO übertragen werden. Sei der Vollzug von Wohnungsdurchsuchungen danach ganzjährig zwischen 21 Uhr und 6 Uhr eingeschränkt und bestehe für diese Zeit ein regelmäßig deutlich geringerer Bedarf an Anordnungen von Wohnungsdurchsuchungen, so sei es gerechtfertigt, einen ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienst in der Zeit von 21 Uhr bis 6 Uhr von Verfassungs wegen nur insoweit für geboten zu erachten, als ein über den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an nächtlichen Durchsuchungsanordnungen besteht.
Auf der Grundlage beanstandet das BVerfG die Ausgestaltung des richterlichen Bereitschaftsdiensts. Der war wie folgt geregelt: Beim AG Rostock bestand im Jahr 2013 an Samstagen und dienstfreien Tagen (z.B. dem 24. und dem 31. 12.) ein richterlicher Bereitschaftsdienst in Form einer Präsenzbereitschaft im Zeitraum von 10 Uhr bis 12 Uhr, an Sonn- und Feiertagen im Zeitraum von 11 Uhr bis 12 Uhr. Diese Bereitschaft dauerte jeweils auch nach 12 Uhr an, sofern zuvor durch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei eilige Anträge angekündigt worden waren. Außerdem war ein gesonderter richterlicher Rufbereitschaftsdienst eingerichtet, der jeweils nach Dienstende (montags bis donnerstags ab 16:15 Uhr; frei...