Mitte Juni hatte die Bundesregierung das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz auf den Weg gebracht. Darin sind weitere Hilfen für Familien und Unternehmen enthalten, u.a. soll eine allgemeine Umsatzsteuersenkung den Konsum ankurbeln (vgl. zu den Einzelheiten im letzten Heft Anwaltsmagazin ZAP 12/2020, S. 614). Allerdings wurden in dem Gesetzespaket auch steuerrechtliche Änderungen untergebracht, die jetzt den Unmut der Anwaltschaft auf sich gezogen haben. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisieren, dass die Regierung mittels Änderungen in der Abgabenordnung sowohl die Verjährung steuerlicher Forderungen als auch das Einziehungsrecht verschärfen will. So sieht der Gesetzentwurf u.a. eine Ausdehnung der strafrechtlichen Einziehung auch auf verjährte Steuerbeträge und eine Verlängerung der Verfolgungsverjährung für Steuerhinterziehung auf 25 Jahre vor.
Mit Überraschung und Besorgnis habe er zur Kenntnis genommen, dass sich in dem Entwurf des Bundesfinanzministeriums zwei grundlegende Änderungen der Abgabenordnung – einerseits zur absoluten Verjährung der Steuerhinterziehung und andererseits zur strafrechtlichen Einziehung von verjährten Steueransprüchen – finden, deren Zusammenhang mit den eilbedürftigen Corona-Maßnahmen nicht ansatzweise erkennbar sei, kritisierte BRAK-Präsident Dr. Ulrich Wessels den Entwurf. "COVID 19 ist sicherlich für vieles verantwortlich, nicht aber dafür, dass Verjährungsfristen im Strafprozess abzulaufen drohen", so Wessels. "Die Pandemie dauert jetzt gerade ein paar Monate – hier geht es im Kern um eine Verlängerung von 20 auf 25 Jahre!"
Es entstehe der Eindruck, so der BRAK-Präsident, dass diese Änderungen i.R.d. Gesetzes versteckt und im Zuge der äußerst eiligen Corona-Maßnahmen möglichst unbemerkt mit "durchgedrückt" werden sollten. Dies vermutet auch der DAV. In einem offiziellen Statement äußerte dieser den Verdacht, dass hier "heimlich" steuerstrafrechtliche Vorschriften verschärft werden sollen. Steuerhinterziehung verjähre, so argumentiert der Verein, derzeit nach 20 Jahren. Das sei bereits länger als bei allen anderen Vermögensdelikten. Ein Bedürfnis, den Ermittlungsbehörden und Strafgerichten noch mehr Zeit zu verschaffen, sei nicht erkennbar. Es gebe gute Gründe für die strafrechtliche Verjährung, etwa den Umstand, dass eine Rekonstruktion mit zunehmender Zeitdauer kaum mehr möglich sei oder dass nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nur unzweifelhaft nachgewiesene Schuld zur Verurteilung führen dürfe. Das sei bei einer Verjährung von 20 Jahren schon fraglich und scheine bei 25 Jahren nahezu aussichtslos. Was die strafrechtliche Einziehung betreffe, so der DAV, habe der BGH bereits entschieden, dass sie bei steuerlich verjährten Ansprüchen nicht zulässig sei. Andernfalls wäre die strafrechtliche Einziehung "bis in Ewigkeit" möglich.
Trotz der Forderung beider Anwaltsorganisationen, dass die steuerrechtlichen Verschärfungen wieder aus dem Gesetzentwurf genommen und einem geordneten Gesetzgebungsverfahren zugeführt werden, winkten sowohl der Finanz- als auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 23. Juni das Vorhaben durch. Die vorgesehenen Änderungen seien unbedingt nötig, um den Cum-Ex-Skandal aufarbeiten zu können, hieß es. Ansonsten drohe hier die Verjährung. Dieses Argument ließ BRAK-Präsident Wessels allerdings nicht gelten: "Es ist mir unerklärlich, dass unsere berechtigte Kritik kein Gehör gefunden hat. Die Umgehung des regulären parlamentarischen Verfahrens halte ich aus rechtsstaatlicher Sicht für untragbar. Auch in Krisenzeiten muss die Gesetzgebung auf dem dafür vorgesehenen Weg erfolgen", kritisierte er nach den Ausschusssitzungen.
[Quellen: BRAK/DAV]