Der diesjährige Deutsche Anwaltstag fand vom 15. bis zum 19.6.2020 statt – wegen "Corona" nicht wie sonst an einem bestimmten Veranstaltungsort, sondern virtuell im Internet (vgl. bereits Anwaltsmagazin ZAP 9/2020, S. 440). Mittels Live-Streams, Webinaren und durchgängig abrufbaren Videos versuchten die Veranstalter, die gewohnten Live-Veranstaltungen so gut wie möglich zu ersetzen. Der Erfolg gab ihnen am Ende recht: Mit fast 2.500 Teilnehmern konnte ein neuer Teilnahmerekord verzeichnet werden.
Die diesjährige Veranstaltung stand unter dem Motto "Die Kanzlei als Unternehmen". DAV-Präsidentin Edith Kindermann erläuterte in ihrer Eröffnungsrede, was sie sich darunter vorstellt. Sie stellte die unternehmerischen Aspekte der Kanzlei in den Vordergrund, erinnerte aber zugleich daran, dass Anwaltskanzleien keine Unternehmen wie andere seien: "Wir sind ein freier Beruf", der in der BRAO geregelt sei, so Kindermann. Sie forderte die Anwaltschaft auf, über neue Wege der Zusammenarbeit nachzudenken. Die Ärzteschaft hätte es mit Praxisnetzen vorgemacht. Die Anwaltschaft könne dies auch: Kanzleien sollten Praxisnetze gründen. "Wir bündeln in eigenständigen Gesellschaften die logistischen Herausforderungen in Bezug auf die Digitalisierung, in Bezug auf die Mitarbeiter, in Bezug auf Know-how", so Kindermann. Die Anwälte blieben dabei selbstständig, die Praxisnetze könnten es aber ermöglichen, Synergien zu heben und die Kosten zu reduzieren. Mit ihrer Idee nahm die Präsidentin vor allem kleinere Kanzleien in den Blick, für die der Wandel auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt eine besondere Herausforderung darstellt.
Angemahnt wurde auf der Veranstaltung auch die große BRAO-Reform, die "überfällig" sei. Das Berufsrecht müsse endlich der Realität angepasst, die Anwaltschaft für alle Gesellschaftsformen geöffnet werden. Zudem müsse die interprofessionelle Zusammenarbeit dringend geregelt und ausgeweitet werden. Eine gute Nachricht für alle Teilnehmer brachte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht mit: Sie kündigte in einer Videobotschaft an, dass ihr Ministerium in Kürze einen Gesetzentwurf zur RVG-Anpassung vorlegen wird.
Am Ende zogen die Veranstalter eine durchweg positive Bilanz. Man habe aus der Not eine Tugend gemacht und dem Bedürfnis in der Anwaltschaft nach Information, Austausch und auch Fortbildung Rechnung getragen, resümierte DAV-Präsidentin Kindermann. Vor allem habe man mit dem virtuellen Format diesmal viele Kolleginnen und Kollegen erreicht, die es auch ohne die aktuelle Pandemie aus verschiedenen Gründen nicht geschafft hätten, persönlich zum Anwaltstag zu kommen. Der nächste Deutsche Anwaltstag im kommenden Jahr solle aber nach Möglichkeit wieder als Präsenzveranstaltung stattfinden – ganz analog.
[Red.]