Ebenso große praktische Bedeutung hat der Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung. Denn die Unterhaltssituation eines berechtigten Ehegatten während der Trennungszeit (§ 1361 BGB) unterscheidet sich deutlich von dessen Unterhaltssituation nach Rechtskraft der Scheidung (§ 1569 ff. BGB). Für den Unterhaltsgläubiger ist oft der Trennungsunterhalt günstiger als der nacheheliche Unterhalt, so dass nicht selten das Interesse besteht, das Scheidungsverfahren durch Verzögerungstaktik oder die Einreichung von Verbundanträgen (§ 137 FamFG) in die Länge zu ziehen. Eine solche Taktik wird in der Praxis auch angewandt, um den anderen Ehegatten, der an einer schnellen Scheidung interessiert ist, für weitere Verhandlungen kompromissbereiter zu machen.
Auch hier gibt es eine Fallgestaltung, bei der eine solche Verzögerung nicht ratsam ist. Erwartet die neue Partnerin des unterhaltspflichtigen Ehemannes ein Kind, ist es für die Unterhaltsberechnung von entscheidender Bedeutung, ob dieses Kind vor oder nach Rechtskraft der Ehescheidung geboten wird. Der Unterhaltsbedarf einer geschiedenen Ehefrau bemisst sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB), die durch die nachhaltig erzielten Einkünfte der Ehegatten und die zu dieser Zeit relevanten Belastungen geprägt wurden. Dabei ist auch die Belastung durch einen Unterhaltsanspruch eines Kindes von Bedeutung.
Nach der Rechtsprechung des BGH enden die für die Bedarfsermittlung gem. § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB maßgeblichen früheren ehelichen Lebensverhältnisse nicht bereits mit der Trennung der Ehegatten oder der Zustellung des Scheidungsantrages, sondern erst im Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehescheidung (BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281; BGH, Beschl. v. 7.5.2014 – XII ZB 258/13, FamRZ 2014, 1183). Damit sind alle bis zu diesem Zeitpunkt eingetretene Einkommensveränderungen grds. prägend und bestimmen folglich den Bedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten. Einzustellen ist demzufolge in die Bedarfsermittlung das für Unterhaltszwecke verfügbare Einkommen, wie es vor Rechtskraft der Ehescheidung bestand (BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281).
Wird aber das Kind noch vor der Rechtskraft der Scheidung geboren, belastet dessen Unterhaltsanspruch (BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281, BGH, Beschl. v. 7.5.2014 – XII ZB 258/13, FamRZ 2014, 1183; OLG Brandenburg v. 2.3.2017 – 13 UF 106/15, FuR 2018, 318) – und auch der damit zusammenhängende Anspruch dessen Mutter aus § 1615l BGB (BGH, Beschl. v. 25.9.2019 – XII ZB 25/19, NJW 2019, 3570) – die Bemessungsgrundlage für den Bedarf der – noch getrennt lebenden und nicht geschiedenen – Ehefrau. Ihr unterhaltsrechtlicher Bedarf ist daher deutlich geringer anzusetzen als dies bei der Geburt des Kindes erst nach der Rechtskraft der Scheidung der Fall wäre.
Hinweis:
Eine Verzögerung des Scheidungsverfahrens kann in dieser Fallgestaltung erhebliche finanzielle Nachteile nach sich ziehen.
Auch die Zugewinnausgleichsforderung entsteht erst mit Rechtskraft der Scheidung und wird auch erst dann nach § 1378 Abs. 3 BGB fällig. Eine Verzögerung der Rechtskraft der Scheidung führt daher auch zu einem zeitweisen Verlust des Zinsanspruchs. Daher ist immer Vorsicht geboten, wenn der Zugewinn als Verbundantrag geltend gemacht werden soll, um haftungsrechtliche Folgen zu vermeiden (vgl. Kogel NZFam 2019, 335; ders. FF 2018, 146).