Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG) ergeben sich aus § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i.V.m. §§ 137 ff. SGB III. Diese setzen nach § 138 Abs. 1 SGB III Arbeitslosigkeit voraus und hierbei, dass die Berechtigten nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III).
Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG ist der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses kontextabhängig und funktionsdifferent auszulegen: Unterschieden wird v.a. zwischen dem Begriff der Beschäftigung im versicherungsrechtlichen und im leistungsrechtlichen Sinne: Funktion des für die Dauer und die Höhe des ALG-Anspruchs zuerst genannten Begriffs ist es, den Versicherungsschutz in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung zu gewähren. Deshalb ist das Beschäftigungsverhältnis im versicherungsrechtlichen Sinn auch bei tatsächlicher Nichtbeschäftigung nicht beendet, wenn und solange eine Pflicht des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts besteht (etwa, wenn bei Vorliegen rechtlich unwirksamer Kündigungen von Arbeitsverträgen Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten). Dagegen hat die Anspruchsvoraussetzung des Nichtbestehens eines leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses im Rahmen von § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III die Funktion, das durch Leistungen der Arbeitslosenversicherung erfasste Risiko zu bestimmen und zu begrenzen. Arbeitnehmer stehen – unbesehen des Fortbestehens von Arbeitsverhältnissen – regelmäßig (erst) dann nicht mehr in einem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis, wenn die Beschäftigung faktisch ein Ende gefunden hat, d.h., wenn die dieses Beschäftigungsverhältnis prägende persönliche Abhängigkeit der Beschäftigten von ihren Arbeitgebern entfällt. Dazu muss entweder der Arbeitgeber auf seine faktische Verfügungsgewalt (Direktionsrecht) verzichten oder Arbeitnehmer ihre Dienstbereitschaft aufgeben, was nach einer Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall zu beurteilen ist. Besondere Bedeutung haben hierbei Erklärungen der Parteien des Arbeitsverhältnisses, sie können jedoch auch unbeachtlich sein, wenn sie nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen, auf die es maßgeblich ankommt.
Das BSG hat in zwei Entscheidungen des Jahres 2019 (BSG, Urt. v. 12.9.2019 – B 11 AL 20/18 R, hierzu Sommer, jurisPR-SozR 23/2020 Anm. 1) und 2020 (BSG, Urt. v. 24.6.2020 – B 11 AL 3/19 R) bei zwei Fallgestaltungen die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses auch bei tatsächlicher Nichtbeschäftigung verneint.
Am 12.9.2019 hat das BSG entschieden, Beschäftigungslosigkeit bestehe nicht zwingend schon dann, wenn der Arbeitgeber erklärt hat, einen Arbeitnehmer nur widerruflich von seiner Arbeitsleistung freizustellen. Entscheidend seien die tatsächlichen Verhältnisse, auf die im Rahmen einer Gesamtwürdigung abzustellen sei. Vorliegend billigt das BSG die Tatsachenfeststellungen des LSG, wonach für den Kläger jederzeit ein Arbeitsplatz hätte frei werden können und die Arbeitgeberin entsprechend dem Inhalt der nur widerruflichen Feststellung auch nach den tatsächlichen Umständen nicht auf ihr Direktionsrecht verzichtet habe. Auch einen Wegfall der Dienstbereitschaft des Klägers habe das Berufungsgericht zu Recht verneint: Der Kläger habe sich trotz seiner Arbeitslosmeldung durchgehend um eine Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit gegenüber dem Arbeitgeber bemüht.
Am 24.6.2020 hatte das BSG über den Anspruch eines Klägers zu entscheiden, der langfristig (vom 13.4.2012 bis zum 28.4.2015) arbeitsunfähig war. Der Arbeitgeber hatte es abgelehnt, den bisherigen Arbeitsplatz leidensgerecht zu gestalten, bzw. den Kläger in dieser Zeit auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen. Das Gericht billigt die Rechtsauffassung des LSG, wonach dieses Verhalten allein noch keinen Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Direktionsrechts begründet. Ferner hält es die Gesamtwürdigung durch das Berufungsgericht für zutreffend. Dieses hatte seine Auffassung insb. damit begründet, dass der Personalleiter des Arbeitgebers erklärt hatte, das Arbeitsverhältnis habe lediglich vorübergehend geruht. Ferner hatte der Arbeitgeber in der Arbeitsbescheinigung (§ 312 SGB III) gegenüber der Bundesagentur für Arbeit keine Angaben zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gemacht, sondern handschriftlich auf den Fortbestand hingewiesen. Für eine fortbestehende Dienstbereitschaft des Klägers spreche auch die Wiederaufnahme seiner Arbeit am 28.4.2015, ferner der Umstand, dass er während der Arbeitsunfähigkeitsphase ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement eingeleitet hatte.
Hinweise:
- Die beiden, hier referierten Entscheidungen stellen auf die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse ab. Für die anwaltliche Praxis bedeutet das die Notwendigkeit, die für den entscheidenden Abwägungsvorgang maßgeblichen Umstände aufzuklären und verwertbar darzustellen. Diese Tätigkeit ist in den Tatsacheninstanzen zu leisten. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien richt...