Der 2. Senat des BAG (BAG, Urt. v. 30.7.2020 – 2 AZR 43/20, NZA 2020, 1427 mit Anm. Müller; NZA 2020, 1381) hatte über die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung der Arbeitgeberin vom 15.3.2018 zu entscheiden. Diese Klage wurde am 21.3.2018 über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Arbeitsgerichts erhoben. Die angefügte qualifizierte elektronische Signatur (qeS) des Prozessbevollmächtigten bezog sich auf einen elektronischen Nachrichtencontainer und nicht auf das darin enthaltene PDF-Dokument der Klageschrift. Nach § 4 Abs. 2 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs (ERVV, BGBl I 2017, 3803) dürfen mehrere elektronische Elemente nicht mit einer gemeinsamen qeS (sog. Container-Signatur) übermittelt werden. Die qeS darf aus diesem Grund nicht nur am Nachrichtencontainer angebracht sein, was verhindern soll, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom Nachrichtencontainer die Container-Signatur nicht mehr überprüft werden kann. Dies gilt auch dann, wenn dem Gericht, wie hier, lediglich ein einziges Dokument übermittelt wird (s. BAG, Beschl. v. 15.8.2018 – 2 AZN 269/18, NJW 2018, 2978 m. Anm. Müller, hierzu Gundel/Sartorius ZAP F. 17 R, S. 956 f.; Radtke JM 2019, 189; ferner BSG, Urt. v. 9.5.2018 – B 12 KR 26/18 B, NJW 2018, 2222 m. Anm. Plum, hierzu Sartorius ZAP F. 18, S. 1619 f. sowie BVerwG, Urt. v. 7.9.2018 – 2 WDB 3/18). Das LAG hat die Parteien in zweiter Instanz am 1.8.2019 – mehr als 16 Monate nach Klagerhebung – erstmals darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig ist, weil die Signatur der Klageschrift nur an dem Nachrichtencontainer angebracht sei. Am 15.8.2019 beantragte die Klägerin die nachträgliche Zulassung der Klage.
Hinweise:
- Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit geschaffen, zum Zwecke der Vereinfachung und der Beschleunigung Dokumente auf elektronischem Wege an die Gerichte versenden zu können. Die entsprechenden Anforderungen und Rahmenbedingungen ergeben sich insb. aus § 130a ZPO – in anderen Verfahrensordnungen aus § 55a VwGO, § 52a FGO, § 32a StPO, § 46c ArbGG, – aber nur für das erstinstanzliche arbeitsgerichtliche Verfahren – und § 65a SGG – und der ERVV.
- Die bisherige Praxis belegt jedoch, dass dieser Weg fehleranfällig ist und mit (Haftungs-)Risiken verbunden sein kann (s. auch Gundel/Sartorius ZAP F. 17 R, S. 1009, 1022 ff. und Gundel/Sartorius ZAP F. 17 R, S. 943, 956 f.).
Ein über beA versandtes Schriftstück ist bereits dann zugegangen, wenn es im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Gerichts eingegangen ist. Der BGH hat zweierlei entschieden:
a) Aus einem gerichtsinternen Versäumnis, einen Schriftsatz beim Eingangsserver abzuholen, dürfen den Beteiligten keine Verfahrensnachteile entstehen (vgl. BGH, Urt. v. 25.8.2020 – VI ZB 79/19).
b) Dieser Beurteilung steht auch der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität, der nach st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts erfordert, dass Beteiligte über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten (Grund-)Rechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (s. etwa BVerfGE 95, 100; 63, 171), nicht entgegen, weil eine Partei auf einen gerichtlichen Hinweis nicht rechtzeitig reagiert hat. Eine solche einschneidende Folge könne nur dann gerechtfertigt werden, wenn der Partei vom Gericht eine Frist gesetzt worden ist oder so viel Zeit seit dem Hinweis verstrichen sei, dass mit einer Stellungnahme nicht mehr gerechnet werden könne. Solche Voraussetzungen hätten im Streitfall nicht vorgelegen.
Der 2. Senat sieht die Klageerhebung nach der st. Rspr. als nicht formgerecht an. Die Klageschrift vom 15.3.2018 ist mangels ordnungsgemäßer Klageerhebung unzulässig. Die Klage ist als elektronisches Dokument weder auf einem sicheren Übermittlungsweg i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV i.V.m. § 46c Abs. 4 ArbGG übermittelt worden, noch ist sie mit einer ordnungsgemäß angebrachten qeS versehen gewesen. Ob der Fehler durch rügelose Einlassung gem. § 295 ZPO geheilt werden kann, lässt das BAG offen, weil die Beklagte erst in der Verhandlung vor dem LAG von der Verwendung der Container-Signatur Kenntnis erlangt und dies sodann unmittelbar gerügt hat. Es dürfte viel dafürsprechen, die Formvoraussetzungen des elektronischen Rechtsverkehrs zu den unverzichtbaren Verfahrensvorschriften i.S.d. § 295 Abs. 2 ZPO zu zählen (so Müller, a.a.O., S. 1382 unter Hinweis auf einen Faksimilestempel auf dem Berufungsbegründungsschriftsatz: BAG, Urt. v. 24.10.2018 – 10 AZR 278/17, NZA 2019, 270, Rn 23; ebenso bereits zu einer fehlenden Unterschrift auf dem Berufungsschriftsatz: BAG, Urt. v. 25.2.2015 – 5 AZR 849/13, NZA 2015, 701).
Der Mangel sei jedoch mit dem zulässigen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung vom 15.8.2019 ex nunc behoben worden. Arbeitnehmer können gem. § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG bei Versäumung der Klagefrist die nachträgliche ...