Das erlebt man auch nicht alle Tage: Der BGH – in seiner Eigenschaft als Dienstgericht des Bundes – entlässt eine Richterin eines obersten Bundesgerichts. Er kam damit einem Antrag des Bundesjustizministeriums nach, das seinerseits einer Empfehlung des Bundesfinanzhofs gefolgt war. Was war passiert?
Eine Richterin am BFH war zunächst etliche Jahre zunächst am III. Senat, dann am XI. Senat tätig. 2016 wurde sie gegen ihren Willen dem V. Senat zugeteilt. Hiergegen erhob sie Rechtsmittel vor den Verwaltungsgerichten, die jedoch – ebenso wie eine anschließende Verfassungsbeschwerde – erfolglos blieben. Als sie 2019 – wieder gegen ihren Willen – in den X. Senat versetzt wurde, kam es zum völligen Bruch: Sie ließ sich zunächst für rd. ein halbes Jahr krankschreiben und verweigerte nach Rückkehr an ihren Arbeitsplatz jegliche Mitarbeit. An Sitzungsterminen nahm sie nicht teil, die ihr zugeleiteten Akten schickte sie unbearbeitet mit der Begründung an die Geschäftsstelle zurück, sie würde nicht im X. Senat arbeiten, weil die Versetzung unwirksam gewesen sei. Nach einer erfolglosen Ermahnung seitens des Präsidenten, die Arbeit im Senat wieder aufzunehmen, wusste sich das Präsidium nicht anders zu helfen, als ein Disziplinarverfahren einzuleiten und die Sache an das BMJ abzugeben. Dieses beantragte beim BGH die Entlassung der Richterin.
Die Richterinnen und Richter am BGH gaben diesem Antrag statt. Sie kamen zu dem Schluss, dass ihre Kollegin am BFH ihre Dienstpflichten „schwerwiegend” verletzt hatte (BGH, Urt. v. 4.5.2023 – RiSt 1/21). Sie habe über Jahre hinweg keine Amtsgeschäfte mehr erledigt und sich unberechtigterweise auf eine angebliche Nichtigkeit der Zuweisung zum X. Senat berufen. Auch wenn Richterinnen und Richtern nicht vorgeschrieben werden könne, wann und wo sie ihre Arbeit zu erledigen hätten, so müssten sie doch die vom Präsidium übertragenen richterlichen Aufgaben erfüllen. Auf ein Recht zur „Selbsthilfe” könne sich die Richterin auch nicht berufen. Ein solches würde selbst dann nicht existieren, wenn einem Beamten/einer Beamtin oder Richter/Richterin eine unterwertige Aufgabe zugewiesen worden sei. Im Übrigen könne bei einer Zuweisung eines Richters/einer Richterin an einen anderen Spruchkörper niemals von einer „unterwertigen” Beschäftigung die Rede sein. Von daher blieb dem Dienstgericht des Bundes als Konsequenz aus der vollständigen Arbeitsverweigerung der Richterkollegin nur die Entfernung aus dem Richterdienst.
Nach der Lektüre des Urteils bleibt Nachdenklichkeit über diesen Fall:
Die Juristin hatte eine Musterkarriere hingelegt. Vor ihrer Ernennung zur Richterin war sie Regierungsdirektorin im Bundesfinanzministerium. Während ihrer späteren Richtertätigkeit hatte sie sich stets weit über die Arbeit hinaus engagiert. So war sie während ihrer Tätigkeit am FG auch Mitglied des Präsidiums und Vorsitzende des Richterrats. Beim BFH war sie auch Vorsitzende des Richtervereins der Richterinnen und Richter des Gerichts. Neben ihrem Richteramt hatte und hat sie noch die Stelle einer Honorarprofessorin an der Universität Passau inne. Dort werden, wie man einer Mitteilung der Universität entnehmen konnte, ihre Vorlesungen sehr geschätzt. Nun verliert sie nicht nur ihre Richterbesoldung, sondern auch ihre Pension. Es ist schwer vorstellbar, dass die renommierte Juristin diese Konsequenzen nicht gesehen haben sollte. An einer einzigen Stelle im Urteil des Dienstgerichts wird angedeutet, dass hier Mobbing im Spiel gewesen sein könnte. Dies könnte eine Erklärung für das scheinbar irrationale Verhalten der Richterin sein. Vor kollegialem Beziehungsstress sind offenbar auch die obersten Bundesgerichte nicht gefeit.
[Red.]
Hinweis der Redaktion:
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