Bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags im Juni hat sich die überwiegende Mehrheit der geladenen Sachverständigen dafür ausgesprochen, die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ohne einen gültigen Fahrschein (sog. Schwarzfahren) nicht mehr als Straftat nach § 265a StGB zu ahnden. In einigen Stellungnahmen wurde eine Verortung des Schwarzfahrens im Bereich der Ordnungswidrigkeiten vorgeschlagen. Um dem Problem zu begegnen, dass häufig arme und hilfsbedürftige Menschen und Obdachlose, die sich weder die Fahrkarte noch eine Strafzahlung leisten können, von Ersatzfreiheitsstrafen betroffen sind, plädierten mehrere Sachverständige für die Senkung der Fahrpreise und die Schaffung eines kostenfreien öffentlichen Personennahverkehrs.
Was die Abschaffung der Strafbarkeit des Schwarzfahrens angeht, argumentierte nur eine Minderheit der Sachverständigen für eine Beibehaltung. So war eine Richterin des Bundesgerichtshofs der Auffassung, dass dort, wo es um Menschen gehe, die sich die Tickets nicht leisten könnten, die Antwort nicht im Strafrecht, sondern in der Senkung der Fahrpreise oder der Ausgabe von Sozialtickets liege. Ähnlich wie beim „Containern” sollte man, anstatt unredliches und sozialschädliches Verhalten sanktionslos zu stellen, „normgetreues Verhalten möglich machen”, so die Expertin. Das sei die Aufgabe des Staates. Abgesehen davon ist aber ihrer Ansicht nach § 265a StGB beizubehalten. Betrugsnahes Verhalten gehöre ins Strafrecht, argumentierte sie.
Anders sah es ein Professor von der Universität Augsburg: Es gebe zwar keine zwingenden rechtlichen Gründe für eine Kriminalisierung des Erschleichens von Beförderungsleistungen. Ebenso wenig sei es aber aus normativen Gründen zwingend erforderlich, auf eine staatliche Sanktionierung der unberechtigten Inanspruchnahme von Beförderungsleistungen zu verzichten. Es handle sich um eine klassische kriminalpolitische Ermessensentscheidung, so der Experte. Im Ergebnis tendierte er zu einer Herabstufung der einfachen Beförderungserschleichung zu einer Ordnungswidrigkeit.
Ähnlich sah es ein anderer Richter des Bundesgerichtshofs. Aus seiner Sicht sprechen die besseren Argumente für die Entkriminalisierung des „einfachen Schwarzfahrens”. Eine Herabstufung solcher Handlungen zu Ordnungswidrigkeiten erscheine gegenüber der völligen Sanktionslosigkeit vorzugswürdig, befand der Sachverständige. Das sei auch eine Frage der Ressourcennutzung in der Strafjustiz. „Wir müssen uns darauf konzentrieren, wirklich strafwürdiges Unrecht zu verfolgen”, sagte er. Als Bagatellunrecht lasse sich die Erschleichung der Beförderung im Ordnungswidrigkeitenrecht gut verorten.
Noch weitergehend argumentierte ein Professor von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er hielt die ersatzlose Streichung der Beförderungserschleichung als Strafbarkeitsalternative für nicht nur kriminalpolitisch sinnvoll, sondern sogar verfassungsrechtlich geboten. Das erhöhte Beförderungsentgelt sei einschneidend genug, so der Sachverständige. Wer beklage, es sei nur schwer einzutreiben, müsse sich eingestehen, dass dies mit einer Geldstrafe oder einem Bußgeld noch schlechter gehe. Eine Lösung über das Ordnungswidrigkeitenrecht lehnte er ab.
Einen ähnlichen Ansatz vertrat der Deutsche Anwaltverein. Er sieht die Schäden infolge Schwarzfahrens – zumindest im Nahverkehr – im „Bagatellbereich”. Es bleibe unklar, worin das strafwürdige Unrecht in dieser Verhaltensweise liegen solle, so der Experte des DAV. Auf Zivilunrecht könne das Zivilrecht auch antworten. Eine zusätzliche strafrechtliche Bestrafung sei eine „unnötige Doppelbelastung”.
Der Deutsche Richterbund sprach sich dafür aus, die Beförderungserschleichung auf Fälle zu beschränken, in denen Kontrollmechanismen umgangen werden. Dies sei mit einer erhöhten kriminellen Energie verbunden, sodass die Straflosigkeit im Vergleich zu anderen Vermögensdelikten nicht sachgerecht erscheine, so eine Expertin des DRB in der Anhörung. Ergänzt werden könne die Reform durch Sozialmaßnahmen, die bedürftigen Menschen die Teilnahme am ÖPNV ermöglichten (Hinweis der Red.: zur vergleichbaren Diskussion bei der Fahrerflucht s.a. van Bühren, ZAP 2023, 513).
[Quelle: Bundestag]