1. Gebot der Berücksichtigung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse bei Erlass einer asylrechtlichen Abschiebungsandrohung
Wird ein Asylantrag gestellt, ist nach nationalem Recht die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote – mit Bindungswirkung für die Ausländerbehörde (§§ 6 S. 1, 42 S. 1 AsylG) – bei Erlass der asylrechtlichen Abschiebungsandrohung gem. § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG, die als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG anzusehen ist, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im Asylverfahren zugewiesen, während die Berücksichtigung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse, insb. die durch Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK/Art. 7, 24 Abs. 2 GRC geschützten familiären Belange des Ausländers, den Ausländerbehörden im Vollstreckungsverfahren obliegt. Dass diese langjährige, indes dem jeweils betroffenen Ausländer nur schwer zu vermittelnde und mitunter Abgrenzungsprobleme aufwerfende „Zuständigkeitsaufspaltung” zwischen dem Bundesamt einerseits und den Ausländerbehörden andererseits im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zur gebührenden Berücksichtigung der familiären Bindungen und des Kindeswohls vor Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen übergeordnetes Unionsrecht verstoßen könnte, hat das BVerwG unter Aufgabe seiner bisherigen Auffassung im Beschl. v. 8.6.2022 (1 C 24.21, NVwZ-RR 2022, 835) aufgezeigt und diese Frage dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV vorgelegt.
Nach Auffassung des EuGH war die Antwort hierauf derart eindeutig, dass die Entscheidung nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte (Beschl. v. 15.2.2023 – C-484/22, NVwZ 2023, 743). Danach ist Art. 5 Buchst. a und b der Richtlinie 2008/115/EG dahin auszulegen, dass er verlangt, das Wohl des Kindes und seine familiären Bindungen im Rahmen eines zum Erlass einer gegen einen Minderjährigen ausgesprochenen Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen (= asylrechtliche Abschiebungsandrohung), und es nicht genügt, wenn der Minderjährige diese beiden geschützten Interessen im Rahmen eines nachfolgenden (ausländerrechtlichen) Verfahrens betreffend den Vollzug dieser Rückkehrentscheidung geltend machen kann, um ggf. eine Aussetzung deren Vollzugs zu erwirken. Es genügt danach i.R.d. asylrechtlichen Abschiebungsandrohung nicht (mehr), den Ausländer darauf zu verweisen, dass seine familiären Belange als Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG der Vollstreckung der Abschiebungsandrohung entgegenstehen. Soweit sich aus § 59 Abs. 3 S. 1 AufenthG, wonach dem Erlass der Abschiebungsandrohung Gründe für die vorrübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegenstehen, etwas anderes ergibt, kommt diese Vorschrift aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht (mehr) zur Anwendung (vgl. ausführlich hierzu VG Minden, Beschl. v. 4.5.2023 – 2 L 847/22.A, juris mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Auch wenn die unmittelbaren Konsequenzen dieser Entscheidung für den betroffenen Ausländer gering sein mögen, weil es aus seiner Sicht von untergeordneter Bedeutung sein dürfte, ob seine rechtlich geschützten Interessen (schon) im Asylverfahren oder (erst) im ausländerrechtlichen Vollstreckungsverfahren berücksichtigt werden, stellt sie für die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Bundesamt und den Ausländerbehörden eine Art Paradigmenwechsel dar, die auch Auswirkungen für das Prüfprogramm im gerichtlichen Asylverfahren zeitigt.
Hinweis:
Ob bzw. welche Konsequenzen der Gesetzgeber aus der Entscheidung des EuGH zieht, ist derzeit nicht abzusehen. Sollte er an der bisherigen „Zuständigkeitsaufspaltung” festhalten und die Zuständigkeit der Ausländerbehörden für die Prüfung der von Art. 5 Buchst. a und b der Richtlinie 2008/115/EG geschützten Interessen – wofür einiges sprechen dürfte – beibehalten wollen, könnte dies am einfachsten dadurch erreicht werden, dass eine Abschiebungsandrohung nicht mehr durch das Bundesamt im Asylverfahren, sondern ausschließlich durch die jeweils zuständige Ausländerbehörde erlassen wird.
2. Voraussetzungen der Auswertung digitaler Datenträger im Asylverfahren
Gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG ist der um Asyl nachsuchende Ausländer u.a. verpflichtet, auf Verlangen alle Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung des Asylgesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Ergänzend hierzu enthält § 15a Abs. 1 S. 1 AsylG die – allein in die Zuständigkeit des Bundesamts fallende, Abs. 2 der genannten Vorschrift – Befugnis zum Auslesen mobiler Datenträger, soweit dies für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit erforderlich ist und der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Die Verpflichtung, die notwendigen Zugangsdaten für eine zulässige Auswertung von Datenträgern zur Verfügung zu stellen, ergibt sich wiederum aus § 15a Abs. 1 S. 2 AsylG i.V.m. § 48 Abs. 3a S. 3 AufenthG. Über die Rechtmäßigkeit von auf diese Vorschriften gestützten Anordnungen/Maßnahmen des Bund...