1. Fristlose Kündigung wegen Äußerungen in privater Chatgruppe – berechtigte Vertraulichkeitserwartung
Das BAG (Urt. v. 24.8.2023 – 2 AZR 17/23, NZA 2023,1595; 2 AZR 18/23, NZA 2023, 1600 und 2 AZR 19/23, NZA 2023,1603 hierzu Schröder, NJW 2024, 1002) hatte sich mit zwei wichtigen Fragen zu befassen, den Grundsätzen des sog. Sachverwertungsverbotes und der Vertraulichkeit eines Chats in einer Chatgruppe.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist 50 Jahre alt, verheiratet und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er ist seit langem bei der Beklagten zuletzt als Gruppenleiter Lagerlogistik in der Abteilung Material Supply zu einem monatlichen Bruttogehalt i.H.v. 4.268,16 EUR beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist nach den anzuwendenden tariflichen Regelungen ordentlich unkündbar. Der Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied, der zuletzt siebenköpfigen Chatgruppe aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet”, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise u.a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Das LAG hat folgenden Chatverlauf festgestellt:
Zitat
„Der Pole ist der Schlimmste – Bis er ma richtig kriegt die Gesichtsfotze – aber erst den Polakken umnieten der ist der schlimmste – Wir hätten die Möglichkeit gehabt die Nr. 2 hinter LH zu werden diese drecking Wichser und Polacke – Alle aufknüpfen den Polen zuerst – neues „Opfer” für den Grabscher von Bosporus Frau A. – der Name L. sagt alles – zionistische Herrscherlobby – Und die Neeger kommen – der zionistische jüdische G. – ja, die Moslems sind dem gemeinen Juden recht ähnlich was Geschäfte angeht, allerdings 7 Klassen tiefer, Ziegen, Kiosk und gebrauchte statt Banken, Medien und Firmen – G. auch zusammenschlagen lassen!!! Wie besprochen. – K. muss man in die Fresse hauen, so was unqualifiziertes. – (...) er ist doof wie 10 Meter Feldweg im Osten – Es ärgert mich das es wirklich top Leute gibt die machen können was sie wollen und keine Chance bekommen und solche Nieten mit ihrem Drecksarsch immer weich fallen was wollte die polnische Verräterfotze mit ihrer Scheißmail eigentlich sagen – der soll seine Fresse halten, sonst läuft bald „spiel mir das Lied vom Tod” noch mal im Kino in D. – Einer muss von den in die Fresse kriegen als Vorwahrnung – Oder wir dackeln das Bott des Verräters ab”
Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.
Das ArbG Hannover und das LAG Niedersachsen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Arbeitgeberin hatte vor dem Zweiten Senat des BAG i.S.d. Zurückverweisung Erfolg. Das LAG hat rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint. Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen. Eine Vertraulichkeitserwartung ist – so der Zweite Senat – nicht stets gegeben. Sie ist vielmehr nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.
Nach Zurückverweisung wird das LAG dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.
Hinweise:
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Zuerst bestätigt das BAG die Rechtsprechung: In einem Kündigungsschutzprozess besteht grds. kein Sachverwertungsverbot (vgl. BAG, Urt. v. 29.6.2023 – 2 AZR 296/22, Rn 23 ff., NZA 2023, 1105). Die Zulässigkeit von Prozessvortrag, welcher erhebliche, personenbezogene Daten beinhaltet und ggf. erfolgende Beweisantritte, bestimmt sich auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit nach den Normen der DSGVO, vgl. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. e), Abs. 3 S. 1 lit. b) u. S. 4 DSGVO (vgl. EuGH, Urt. v. 2.3.2023 – C-26... |