Dem hier darzustellenden Beschluss des BVerfG vom 22.10.2014 (2 BvR 661/12, ZAP EN-Nr. 922/2014 = NZA 2014, 1387, hierzu Edenharter NZA 2014, 1378), lag als Sachverhalt zugrunde: Der Kläger des arbeitsgerichtlichen Ausgangverfahrens war als Chefarzt bei einem katholischen Krankenhaus beschäftigt. Zum Beginn des Arbeitsverhältnisses war er nach katholischem Ritus in erster Ehe verheiratet. Später trennten sich die Ehepartner. Zwischen 2006 und 2008 lebte der Kläger mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen, was dem damaligen Geschäftsführer des Krankenhausträgers seit spätestens Herbst 2006 bekannt war. Anfang 2008 wurde die erste Ehe des Klägers nach staatlichem Recht geschieden. Einige Monate später heiratete der Kläger seine Lebensgefährtin standesamtlich. Hiervon erfuhr der Krankenhausträger im November 2008. Im März 2009 erfolgte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Kündigungsschutzklage hatte in allen drei Instanzen Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils des BAG (BAG, Urt. v. 8.9.2011, NJW 2012, 1099) und zur Zurückweisung der Sache an dieses Gericht.
Das BVerfG leitet aus Art. 40 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 u. 4, 137 Abs. 1 WRV, Art. 4 Abs. 1 u. 2, Art. 3 Abs. 3 S. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG eine Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität her. Diese verwehre es dem Staat, Glauben und Lehren einer Kirche oder Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten, vielmehr hat er die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung zu respektieren. Nicht nur die Kirchen sind Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, sondern alle ihr zugeordneten Institutionen, Gesellschaften; Organisationen und Einrichtungen, wenn und soweit sie nach ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe berufen sind, Auftrag und Sendung der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen. Hierbei müsse der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden. Die innere Gestaltungsfreiheit des kirchlichen Arbeitgebers für die von ihm begründeten Arbeitsverhältnisse stehen unter dem Vorbehalt der "für alle geltenden Gesetze" (Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV). Hierzu zählen auch die Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes. Einerseits sind diese im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung auszulegen, andererseits dürfen die Schutzpflichten des Staates gegenüber den Arbeitnehmern (Art. 12 Abs. 1 GG) und die Sicherheit des Rechtsverkehrs nicht vernachlässigt werden. Es richtet sich allein nach den von der Kirche verfassten anerkannten Maßstäben, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutend sein können. In der Abwägung ist ein Ausgleich der kirchlichen Belange und der korporativen Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen vorzunehmen. Ob die Abwägung verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, könne ggf. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Kontrolle sein. Die Auslegung des Verfassungsrechts soll nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts weder durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte (Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK) noch durch die Rechtsprechung des EGMR modifiziert werden (s. aber EGMR, Urt. v. 23.9.2010 – 1620/03, NZA 2011, 279, Schüth/Deutschland: Die Kündigung des Angestellten einer katholischen Kirchengemeinde wegen Ehebruchs und Bigamie verstößt gegen Art. 8 EMRK).
Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die vom BAG bei der Anwendung von § 1 Abs. 2 KSchG vorgenommene Interessenabwägung dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht des Krankenhausträgers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt. Die Wertung des BAG, dass nach der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Grundordnung des kirchlichen Dienstes auch nicht katholische Personen mit leitenden Aufgaben betraut werden könnten und die katholische Kirche es daher offenbar nicht als zwingend erforderlich erachtet, Führungspositionen an das Lebenszeugnis für die katholische Sittenlehre zu knüpfen, wird ebenso wenig geteilt, wie der aus dem Umstand auf ein vermindertes Kündigungsinteresse des Krankenhausträgers gezogene Schluss, dass dieser in der Vergangenheit mehrfach auch Chefärzte in zweiter Ehe weiter beschäftigt habe. Dem BAG wird aufgegeben, ggf. nach Ermöglichung ergänzender Tatsachenfeststellungen eine eingehende Gesamtwürdigung vorzunehmen. Hierbei wird es den Gedanken des Vertrauensschutzes insoweit zu berücksichtigen haben, als der Arbeitsvertrag – abweichend von der Grundordnung – keine unterschiedliche Bewertung eines Verstoßes gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe und eines Verstoßes gegen das Verbot des Lebens in nicht ehelicher Gemeinschaft vorsieht und diese individual vertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Arbeitnehmers ausgelöst haben könnte.