Bei der ersten Entscheidung handelt es sich um den Beschluss des BGH vom 8.2.2017 (1 StR 493/16, StRR 5/2017, 2), der eine mit § 21g GVG zusammenhängende Problematik zum Gegenstand hat. § 21g GVG bestimmt, dass innerhalb des mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers die Geschäfte durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter auf die Mitglieder verteilt werden. Und: Der Beschluss bestimmt vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirken (Abs. 2 Hs. 1). Danach muss also grundsätzlich jede Strafkammer einen sog. kammerinternen Geschäftsverteilungsplan haben, der "vor Beginn des Geschäftsjahres" ausgestellt sein muss. Das war beim LG München I für die Jahre 2012–2015 teilweise nicht der Fall. Das Fehlen einer solchen kammerinternen Geschäftsverteilung ist dann von einem Verteidiger in einem Verfahren wegen versuchten Totschlags mit der Besetzungsrüge (zu den Anforderungen unten III. 3.) geltend gemacht worden. Das Schwurgericht hat den Besetzungseinwand als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung u.a. Folgendes ausgeführt:
Zitat
"Mit Anklageerhebung Ende März 2015 lag zwar kein schriftlicher interner Geschäftsverteilungsplan der 1. Strafkammer für das Geschäftsjahr 2015 vor. Eine schriftliche Beschlussfassung war jedoch – wie auch für die Geschäftsjahre 2012 und 2014 – nur versehentlich unterblieben und wurde am 16.4.2015 unmittelbar nach Erkennen des Fehlens für das verbleibende Geschäftsjahr 2015 nachgeholt. Der Geschäftsverteilungsplan vom 16.4.2015 sieht im Übrigen keine Abweichungen zur Geschäftsverteilung vor, wie sie zuletzt mit Beschluss vom 27.12.2012 für das Geschäftsjahr 2013 schriftlich festgelegt worden war und aufgrund mündlicher Übereinkunft der Kammermitglieder auch in der Folgezeit so gehandhabt wurde. Es kann mithin nicht von einem willkürlichen Verstoß gegen die Vorgaben aus § 21g Abs. 1 und 2 GVG ausgegangen werden."
Die nach Durchführung der Hauptverhandlung, die mit einer Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten geendet hat, eingelegte Revision hatte beim BGH (a.a.O.) Erfolg. Der BGH schreibt dem Schwurgericht einiges zum gesetzlichen Richter ins Stammbuch (vgl. dazu BVerfGE 95, 322; BGHSt 49, 130) und moniert, dass die Strafkammer im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs der Anklageschrift im März 2015 nicht über eine kammerinterne Geschäftsverteilung für das Geschäftsjahr 2015 verfügt habe. Auch der "mündliche Beschluss" der Strafkammer könne am Fehlen einer kammerinternen Geschäftsverteilung nichts ändern; denn damit werde die verfassungsrechtlich gebotene Schriftform nicht beachtet. Und: Die mit Beschluss vom 16.4.2015 ab diesem Zeitpunkt von den Mitgliedern der Strafkammer geschaffene kammerinterne Geschäftsverteilung für das verbleibende Geschäftsjahr 2015 habe zwar eine ordnungsgemäße Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers für nach diesem Zeitpunkt neu eingehende Verfahren geschaffen, könne aber für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren nachträglich keinen wirksamen kammerinternen Mitwirkungsplan begründen. Die Garantie des gesetzlichen Richters gehe von einem Vorausprinzip aus, so dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer solchen Regelung nur der Zeitpunkt der Anhängigkeit eines Verfahrens beim jeweiligen Spruchkörper sein könne, zu dem die zuständige Spruchgruppe innerhalb der Strafkammer nach den Mitwirkungsgrundsätzen für den weiteren Verfahrensgang festgelegt werde. Für das Vorliegen einer wirksamen spruchkörperinternen Regelung zur Geschäftsverteilung dürfe daher nicht erst auf den Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses – das war hier der 31.7.2015 – abgestellt werden, zu dem die Strafkammer letztlich über eine entsprechende Mitwirkungsregelung für 2015 verfügte.
Hinweis:
Man mag kaum glauben, dass ein Schwurgericht über Jahre hinweg keinen kammerinternen Geschäftsverteilungsplan hat. Die Frage, die sich stellt: Dass die vom BGH (a.a.O.) entschiedene Sache nun beim LG München I neu verhandelt werden muss, liegt auf der Hand. Aber: Was ist mit früheren Verfahren? Insoweit geht es um die Frage der Wiederaufnahme. Allerdings sehe ich in § 359 StPO keinen Wiederaufnahmegrund, in Betracht kommt insbesondere auch nicht § 359 Nr. 3 StPO. Insoweit bleibt es also wohl bei den Entscheidungen.