Bei der zweiten Entscheidung zu Besetzungsfragen (zur ersten s. oben III. 1.) handelt es sich um den Beschluss des BVerfG vom 16.1.2017 (2 BvR 2011/16 u. 2 BvR 2034/16, NJW 2017, 1233). Der Beschluss hat die immer aktuelle Thematik der nachträglichen Änderung der Geschäftsverteilung während des laufenden Geschäftsjahres zum Gegenstand (vgl. dazu auch noch BGH StraFo 2016, 387 = StV 2016, 626). Hier war beim LG Rostock im laufenden Geschäftsjahr eine Hilfsstrafkammer eingerichtet worden. Der gerichtliche Geschäftsverteilungsplan machte die Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer davon abhängig, ob von den (Haupt)Strafkammern bis zu einem bestimmten – in der Zukunft liegenden Stichtag – die jeweiligen Hauptverfahren eröffnet waren oder nicht.
Das BVerfG (a.a.O.) hat das als mit der Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar angesehen. Zur Begründung verweist das BVerfG auf das "Vorausprinzip", wonach die Regelungen eines Geschäftsverteilungsplans im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter bestimmen müssen, damit die einzelne Sache "blindlings" aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 4, 412; 82, 286, 298; 95, 322, 329). Soweit bereits anhängige Verfahren von einer Neuverteilung bestehender Zuständigkeiten erfasst werden, sind Regelungen mithin nur dann im Voraus generell-abstrakt, wenn die Neuverteilung durch den Geschäftsverteilungsplan selbst erfolgt. Sie sind demgegenüber nicht im Voraus generell-abstrakt, wenn sie im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen. Diese Vorgaben sieht das BVerfG durch die beim LG Rostock gewählte "Stichtagslösung" als nicht erfüllt an. Diese verhindere die generell-abstrakte Zuständigkeitsbegründung im Voraus, weil sie die Zuständigkeit des jeweiligen Spruchkörpers von einem später eintretenden Umstand abhängig mache. Es handele sich bei der Regelung um eine Bestimmung, die eine Begründung konkreter, auf den Einzelfall bezogener Zuständigkeiten erst im Nachhinein – durch Eröffnung oder das Unterlassen der Eröffnung des Hauptverfahrens – ermögliche. Eine solche Delegation der Entscheidung über die Geschäftsverteilung an die Spruchkörper, die gerade Adressaten der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollten, sei mit Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG unvereinbar.
Hinweis:
Die entsprechenden Verstöße müssen vom Verteidiger mit einem Besetzungseinwand gem. § 222b StPO geltend gemacht werden, wenn die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO erhalten bleiben soll (zu den Anforderungen an die Begründung des Einwands s. unten III. 3.; zu Besetzungsfragen s. auch Burhoff, EV, Rn 940 ff. und ders., HV, Rn 791 ff.).