Der BGH begründet seine (zurückweisende oder stattgebende) Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde oftmals nur formelhaft, was nach § 544 Abs. 4 S. 2 Halbs. 2 ZPO zulässig ist. Solche Beschlüsse werden nicht veröffentlicht, was auch sinnlos wäre, da nicht bekannt ist, was der Beschwerdeführer vorgebracht hat. Allerdings ist es gängige Praxis des BGH, Beschlüsse zu begründen und zu veröffentlichen, in denen die Nichtzulassungsbeschwerde wegen des Nichterreichens der erforderlichen Beschwer als unzulässig verworfen wird. Nur solche Beschlüsse können somit die Basis für die Rechtsprechungsauswertung in diesem Beitrag sein. In den Fällen, in denen die Darlegungen des Rechtsmittelführers zur Beschwer dem BGH (vielleicht auch nur knapp) gereicht haben, wird schlicht in der Sache zurückgewiesen oder zugelassen, ohne dass die Entscheidung weiter begründet wird.
Hinweis:
Im Folgenden ist fast durchgehend von der Nichtzulassungsbeschwerde und dem Zugang zum BGH die Rede (Wertgrenze des § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO; 20.000 EUR). Die Darlegungen gelten aber praktisch durchgehend auch für den Wert der Berufung und den Zugang zum Berufungsgericht (Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; 600 EUR).
1. Beschwer des Rechtsmittelführers
Es kommt allein auf die Beschwer des Rechtsmittelführers an ("Angreiferinteresse"; siehe schon RG, Urt. v. 27.12.1899 – VI 76/99, RGZ 45, 402, 403–405). Die Parteirolle des Beschwerdeführers ist unerheblich. Die Beschwer der Parteien ist nicht zwangsläufig identisch. Es ist allein auf die Person des Rechtsmittelführers, seine Beschwer und sein Änderungsinteresse abzustellen; entscheidend ist der rechtskraftfähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung (BGH, Beschl. v. 19.6.2013 – V ZB 182/12, juris Rn 7).
Praxishinweis:
Machen Sie sich bei der Beurteilung der Beschwer frei von der Parteirolle (Kläger/Beklagter). Es kommt allein darauf an, inwieweit der Rechtsmittelführer unterlegen ist. Die Beschwer der Parteien ist auch keineswegs zwangsläufig identisch.
Die Bemessung der Beschwer des Rechtsmittelführers durch das angefochtene Urteil hat rein nach seinem Rechtsschutzziel zu erfolgen; materiell-rechtliche Gesichtspunkte haben außer Betracht zu bleiben (BGH, Beschl. v. 21.5.2019 – VIII ZB 66/18, juris Rn 12).
2. Beschwer und Streitwert
Die Beschwer ist nicht zwingend identisch mit dem vom Ausgangsgericht festgesetzten Streitwert. Das Berufungsgericht bzw. der BGH können dessen Streitwertfestsetzung in beide Richtungen korrigieren. Das Rechtsmittelgericht ist an die Streitwertfestsetzung der Vorinstanz nicht gebunden (BGH, Beschl. v. 10.1.2017 – II ZR 177/15, juris Rn 5; BGH, Beschl. v. 13.3.2013 – XII ZR 8/13, juris Leitsatz 1 und Rn 8; BGH, Beschl. v. 13.10.2004 – XII ZR 110/02, juris Rn 2). Es setzt die Beschwer – ebenso wie den Gegenstandswert des Rechtsmittels – nach freiem Ermessen (§ 3 ZPO) selbst fest. Den Wert der Beschwer hat es von Amts wegen zu prüfen. Es ist dabei weder an die Streitwertangaben der Parteien noch an die Festsetzung der Vorinstanz gebunden (BGH, Beschl. v. 23.1.2019 – XII ZR 95/17, juris Rn 4). Für die Wertgrenze der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 26 Nr. 8 EGZPO ist der Wert des Beschwerdegegenstands aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend, wobei die Wertberechnung nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO vorzunehmen ist (BGH, Beschl. v. 10.7.2014 – V ZR 322/13, juris Rn 6).
Für die Ermittlung des Beschwerdegegenstands nach § 26 Nr. 8 EGZPO gilt ein gegenüber § 3 Halbs. 2 ZPO vereinfachtes Verfahren, welches sich mit der Glaubhaftmachung des Werts begnügt (BGH, Beschl. v. 10.4.2014 – V ZR 174/13, juris Rn 5).
Praxishinweis:
Anders als für die Bestimmung des Zuständigkeitswerts (§ 3 Halbs. 2 ZPO) findet eine (förmliche) Beweisaufnahme für den Beschwerdewert nicht statt. Das entbindet den Rechtsmittelführer aber nicht davon, den Beschwerdewert glaubhaft zu machen – im Gegenteil: Die Beibringung der Beweismittel zur Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) ist Sache der Parteien. Das Gericht greift nicht von Amts wegen auf zusätzliche Beweismittel zurück.
An Ausführungen des Berufungsgerichts, aus denen sich ergibt, dass nach seiner Ansicht die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel (die Nichtzulassungsbeschwerde) gegen sein Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen (weil der Wert der Beschwer 20.000 EUR nicht übersteige), ist das Revisionsgericht bei der Bemessung des Wertes der Beschwer gem. § 26 Nr. 8 EGZPO "in keiner Weise" gebunden (BGH, Beschl. v. 28.2.2017 – I ZR 46/16, juris Rn 11). Umgekehrt gilt: Den Anforderungen an die Darlegung der Beschwer genügt eine Beschwerdebegründung nicht, wenn sie sich auf den Hinweis beschränkt, der Kläger werde durch das Berufungsurteil mindestens in Höhe des ermessensfehlerfrei festgestellten Berufungsstreitwerts von 25.234 EUR beschwert, wenn auf der Grundlage der Ausführungen des Berufungsgerichts, an dessen Wertfestsetzung der BGH nicht gebunden ist, sich eine Beschwer von höchstens 9.074 EUR errechnet (BGH, Beschl. v. 2.6.2016 – V ZR 173/15, juris Rn 5).