Problematisch sind Anrechnungsfälle. Das Problem liegt hier darin begründet, dass hinsichtlich der verschiedenen aufeinander anzurechnenden Angelegenheiten unterschiedliche Steuersätze gelten können. Das Ergebnis der Abrechnung hängt dann davon ab, wo die Anrechnung vorgenommen wird.

Insoweit ist zu beachten, dass dem Anwalt das Wahlrecht zusteht, wie und wo er anrechnet. Nach § 15a Abs. 1 RVG kann der Anwalt in Anrechnungsfällen jede der aufeinander anzurechnenden Gebühren erheben. Er darf lediglich insgesamt nicht mehr als das um die Anrechnung verminderte Gesamtaufkommen abrechnen. Damit steht es dem Anwalt frei, in welcher Angelegenheit er die Anrechnung vornimmt. Dies kann dann auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, je nachdem, wo die Anrechnung vorgenommen wird.

 

Beispiel:

Der Anwalt war außergerichtlich mit der Beitreibung einer Forderung i.H.v. 8.000 EUR beauftragt. Im Mai 2020 wird vor dem LG Klage erhoben. Das Verfahren endet im September 2020 mit einem Vergleich.

Außergerichtliche Vertretung und Rechtsstreit sind zwei verschiedene Angelegenheiten. Vorgerichtlich gilt insoweit ein Steuersatz von 19 %, während im gerichtlichen Verfahren der Steuersatz von 16 % gilt.

Rechnet man zunächst die volle Geschäftsgebühr ab und rechnet diese dann hälftig gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die nachfolgende Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV RVG an, wäre wie folgt zu rechnen:

 
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 EUR)
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG   684,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 704,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   133,76 EUR
  Gesamt   837,76 EUR
II. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG   592,80 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 8.000 EUR   – 342,00 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG   547,20 EUR
4. 1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG   456,00 EUR
5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.274,00 EUR  
6. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   203,84 EUR
  Gesamt   1.477,84 EUR
III. Gesamt (I. + II.)   2.315,60 EUR

Nun kann der Anwalt aber nach § 15a Abs. 1 RVG die hälftige Geschäftsgebühr bereits i.R.d. außergerichtlichen Vertretung anrechnen, bzw. nur den anrechnungsfreien Teil der Geschäftsgebühr abrechnen. Dann würde sich außergerichtlich eine geringere Vergütung ergeben, dafür im gerichtlichen Verfahren eine höhere.

 
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 EUR)
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG   684,00 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 8.000 EUR   – 342,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 362,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   68,78 EUR
  Gesamt   430,78 EUR
II. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG   592,80 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG   547,20 EUR
3. 1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG   456,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.616,00 EUR  
5. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   258,56 EUR
  Gesamt   1.874,56 EUR
III. Gesamt (I. + II.)   2.305,34 EUR

Der Netto-Gesamtbetrag ist mit 1978 EUR in beiden Fällen derselbe (704 EUR + 1.274 EUR; 362 EUR + 1.616 EUR).

Der Mandant würde bei der zweiten Berechnungsmethode aber die Steuerdifferenz aus dem Anrechnungsbetrag (3 % aus 342 EUR =) 10,26 EUR sparen.

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