Die Versäumung von Rechtsmittelfristen durch ein Versehen von Büroangestellten des Rechtsanwalts und der anschließende Versuch, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u.a. mittels der Darlegung zu erreichen, die Bürokräfte seien stets sorgfältig angewiesen und überwacht worden, sind sozusagen „Klassiker” im Prozessrecht. Der BGH hat dem kürzlich eine weitere Facette hinzugefügt: Ein Anwalt dürfe auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelbegründungsschrift einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grds. nicht mehr persönlich überprüfen müsse. Er müsse jedoch ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen haben, dass die Anweisung (etwa im Drange der Geschäfte) in Vergessenheit gerate; allerdings seien solche Vorkehrungen wiederum entbehrlich, wenn die Anweisung sofort ausgeführt werden sollte (BGH, Beschl. v. 5.5.2021 – XII ZB 552/20, ZAP-EN Nr. 410/2021 – in dieser Ausgabe).
Der Fall: In einem Scheidungsprozess hatte eine Rechtsanwältin eine prozessuale Frist versäumt; als Grund für die Verspätung stellte sich heraus, dass eine Büroangestellte den anwaltlichen Schriftsatz statt an das OLG fälschlicherweise ans AG adressiert hatte. In ihrem Wiedereinsetzungsantrag legte die Anwältin dar, dass sie ihre erfahrene, sehr ordentlich arbeitende und zuverlässige Kanzleiangestellte tatsächlich angewiesen habe, die Anschrift zu korrigieren und auch die Faxnummer zu berichtigen. Den korrigierten Schriftsatz habe die Angestellte ihr dann nochmals zur Prüfung vorlegen sollen, was aber unterblieben sei.
Diese Darlegung reichte aber weder dem OLG noch später dem BGH: Sei die Rechtsmittelbegründungsschrift an ein unzuständiges Gericht adressiert worden und erkenne der Rechtsanwalt dies, müsse er bei einer von ihm erteilten Einzelweisung gegenüber der Büroangestellten, die Falschbezeichnung des Rechtsmittelgerichts zu korrigieren, entsprechende Vorkehrungen gegen das Vergessen der Anweisung treffen. Dies gelte jedenfalls, soweit – wie im vorliegenden Fall – die Weisung nicht die sofortige Erledigung des Auftrags beinhalte. In einem solchen Fall bedeute das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel. Ausnahmsweise entbehrlich sei eine besondere Vorkehrung also nur, wenn die Bürokraft die unmissverständliche Weisung erhalte, den von ihr zu erledigenden Vorgang sofort auszuführen.
Lasse der Anwalt seinen Angestellten hingegen einen zeitlichen Spielraum zur Erledigung der aufgetragenen Arbeit, bestehe die Gefahr, dass der Auftrag im Drange der sonstigen Geschäfte vergessen werde. Dieser Fehler könne auch ansonsten verlässlichen Kanzleiangestellten unterlaufen. In einem solchen Fall könne daher auf zusätzliche Sicherungsvorkehrungen gegen das Vergessen einer Anweisung nicht verzichtet werden. Eine solche „zusätzliche Sicherungsvorkehrung” hatte die Kollegin im vorliegenden Fall aber nicht vorgetragen.
[Quelle: BGH]