Bewirbt sich eine schwerbehinderte Person für eine Stelle im öffentlichen Dienst, muss der öffentliche Arbeitgeber darauf achten, dass er die Regelungen des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) sowie des Neunten Buches Sozialgesetzbuch beachtet. Denn die Verletzung von solchen Regelungen kann ihn nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichten, wenn er den gesetzlichen Vorgaben zuwider den Schwerbehinderten wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat.
Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX a.F. (§ 164 Abs. 2 S. 1 SGB IX) schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 81 Abs. 2 S. 2 SGB IX a.F. (§ 164 Abs. 2 S. 2 SGB IX) die Regelungen des AGG. Wird es versäumt, die schwerbehinderte Person zum Vorstellungsgespräch zu laden, kann das zu einer unmittelbaren Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG führen auch wegen seiner (Schwer-)Behinderung erfahren.
Nach dem Urteil des BAG vom 27.8.2020 (8 AZR 45/19, EzA-SD 2021, Nr. 1, 10 = NZA 2021, 200 = BB 2021, 638) begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, mithin auch der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 82 S. 2 SGB IX a.F. (§ 165 S. 3 SGB IX) geregelte Pflicht, eine/n schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grds. geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein.
Hinweis:
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. etwa BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18 – Rn 36 m.w.N.).
Das BAG hebt zwar hervor, dass auf die Einladung zum Vorstellungsgespräch verzichtet werden darf, wenn offensichtlich die fachliche Eignung (vgl. § 165 S. 4 SGB IX) fehlt. Maßstab für die fachliche Eignung eines Bewerbers sei der Aufgabenbereich des zu besetzenden Arbeitsplatzes. Ob ein schwerbehinderter Mensch für eine zu besetzende Stelle fachlich ungeeignet sei, sei demnach eines Vergleichs zwischen dem (fachlichen) Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes und dem (fachlichen) Leistungsprofil des Bewerbers oder der Bewerberin zu ermitteln. „Offensichtlich” fachlich nicht geeignet sei aber nur, wer „unzweifelhaft” insoweit nicht dem (fachlichen) Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspreche. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigten es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen könnten. Ließen allerdings bereits die Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei erkennen, dass die durch das Anforderungsprofil zulässig vorgegebenen fachlichen Kriterien nicht erfüllt würden, bestehe für den öffentlichen Arbeitgeber keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Hinweis:
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen schwerbehinderte Bewerber/innen durch das in § 82 S. 2 SGB IX a.F. (§ 165 S. 3 SGB IX) genannte Vorstellungsgespräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbessern. Sie sollen die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung zu überzeugen (vgl. etwa BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18 – Rn 48). Dabei ist der Begriff der „Eignung” als umfassendes Qualifikationsmerkmal zu verstehen, das die ganze Persönlichkeit des Bewerbers über rein fachliche Gesichtspunkte hinaus erfasst (zur Eignung i.S.v. Art. 33 Abs. 2 GG, vgl. etwa BVerwGE 47, 330).
Bezogen auf einen mehrstufiges Auswahlprozess weist das BAG darauf hin, dass der öffentliche Arbeitgeber mit der Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers allein zu dem auf der ersten Stufe stattfindenden Vorstellungsgespräch seiner Verpflichtung nach § 82 S. 2 SGB IX a.F. (§ 165 S. 3 SGB IX) nur dann nachkomme, wenn er sich bereits aufgrund dieses Vorstellungsgesprächs einen umfassenden Eindruck darüber verschaffen könne, ob der Bewerber über die fachliche und persönliche Eignung für die Stelle verfüge.