1. Individual- und kollektivrechtliche Ebene
Die gelebte Praxis des Kündigungsschutzrechts ist immer wieder neuen Herausforderungen und Wandlungen unterworfen. Grund hierfür sind nicht nur Eingriffe des Gesetzgebers oder geänderte Interpretationen der Rechtsprechung, sondern auch neue Strategien und Lösungsansätze der beteiligten Akteure (zum sozialverträglichen Personalabbau durch Einsatz von Transfergesellschaften Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865; Raif, ArbRAktuell 2009, 225; zur Kombination von Kurzarbeit, Kündigung und Transfergesellschaft Gerlach, ArbRAktuell 2021, 204; Gerlach, SPA 2021, 29; zur Versetzung in Vermittlungs- und Qualifizierungsgesellschaften aufgrund tarifvertraglich erweiterten Direktionsrechts LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 11.4.2012 – 3 Sa 71/11; LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2006 – 13 Sa 863/05, EzAÜG § 242 BGB Nr. 10; LAG Köln, Urt. v. 3.5.2006, – 7 (5) Sa 1584/05; LAG Brandenburg, Urt. v. 30.6.2005 – 9 Sa 79/05, ZIP 2006, 392; Hümmerich/Welslau, NZA 2005, 610). Diese versuchen immer wieder, die rechtliche Situation in diesem zentralen Rechtsgebiet mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung bestmöglich zu ihren Gunsten zu verändern (vgl. Ganz, ArbRAktuell 2020, 643). Dabei bewegt sich der Rechtsanwender zwischen Bestandsschutzkonzeption und Abfindungsrealität (vgl. Temming, RdA 2019, 102).
Im Schrifttum wird mit Blick auf die zahlreichen rechtlichen Stellschrauben im Arbeitsrecht kritisch eine Überforderung der Akteure angemerkt (vgl. Giesen, NZA 2024, 81). Fakt ist, dass individual- und kollektivrechtliche Ebene (§§ 102 f., 111 ff. BetrVG, § 17 KSchG) i.d.R. zusammen betrachtet werden müssen, um zu tragfähigen und möglichst rechtssicheren Ergebnissen zu gelangen.
Die betriebsbedingte Kündigung ist als einseitig gestaltende Willenserklärung des Arbeitgebers häufig in ein kollektivrechtliches Umfeld eingebettet. Damit lautet die Handlungsempfehlung „Augen auf”. Zum richtigen Verständnis und zur richtigen rechtlichen Einordnung ist eine übergreifende Betrachtung zwingend. Nur sie und die Bewertung des gesamten rechtlichen Spielfeldes (vgl. zu arbeitsrechtlichen Fragen der Restrukturierung Schmitz-Scholemann, NZA-Beilage 2015, 107) führen i.d.R. zum vom Arbeitgeber gewünschten Erfolg und schließen im Gegenzug einen (teuren) Misserfolg aus.
2. Corporate Sustainability Reporting Directive
Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD; RL (EU) 2022/2464) verpflichtet ab 2024 (zunächst) große und kapitalmarktorientierte Unternehmen in der EU zu einer Nachhaltigkeitsberichterstattung (vgl. Velte, DStR 2023, 2358). Die betroffenen Unternehmen müssen dabei u.a. darüber berichten, inwieweit sie eine nachhaltige Beschäftigungspolitik verfolgen. Auf Grundlage dieser Berichterstattung werden kapitalmarktrelevante ESG-Ratings (ESG = Environmental, Social & Governance) vergeben. Mit Blick hierauf haben Unternehmen ein ureigenes Interesse, auch im Restrukturierungskontext zukünftig verstärkt eine strategische Personalplanung und Qualifizierung zu berücksichtigen (vgl. Heimann/Ryßok-Lösch, a.a.O.; zur strategischen Personalplanung mit Betriebsratsbeteiligung Hoffmann, Mitbestimmungspraxis 2017, Nr. 7, Hans Böckler Stiftung, online unter: https://www.boeckler.de/fpdf/HBS-006749/p_mbf_praxis_2017_07.pdf).
Praxistipp:
Bei der strategischen Personalplanung geht es um die Beantwortung der zentralen Frage, welche Arbeitnehmer mit welcher Qualifikation bei welcher Wettbewerbsausrichtung heute und zukünftig das Überleben des Unternehmens/des Arbeitgebers sichern. Entsprechend bedarf es an dieser Stelle einer klaren Bestimmung der strategischen Position und der entsprechenden Herausforderungen und Ziele des Unternehmens. Gerade in Zeiten tiefgreifender wirtschaftlicher Transformation trifft dabei die Betriebsräte die Pflicht, sich gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2, 6–8, § 97 Abs. 2, § 98 BetrVG mit innerbetrieblicher Qualifizierung sowie der Anpassung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschäftigten an die neuen Heraus- und Anforderungen der Arbeits- und Wirtschaftswelt zu befassen (vgl. Markowski, NZA 2022, 744; zum Qualifizierungssozialplan und seinen möglichen Inhalten Röder/Gebert, NZA 2017, 1289).
3. Moderne Personalstrategie und -führung
In der modernen Personalführung rücken die stete Weiterbildungsverpflichtung des Arbeitgebers und die damit korrespondierende Weiterbildungspflicht der Arbeitnehmer bzw. zumutbare Umschulungs- und Fortbildungs-/Qualifizierungsmaßnahmen als milderes Mittel gegenüber einer betriebsbedingten Kündigung in den Blickpunkt.
Fachkräftemangel und Digitalisierung führen zunehmend zu Transformations-/Qualifizierungssozialplänen (zur Frage des erzwingbaren Qualifizierungssozialplans Göpfert/Wenzler, NZA 2020, 15; Röder/Gebert, NZA 2017, 1289). Der technologische Wandel und die durch ihn maßgeblich beeinflusste Betriebsänderung (zu Personalabbau, Reorganisation und Betriebsänderungen in der Praxis Lembke, NZA 2022, 1497) bewirken immer häufiger eine Abkehr vom klassischen Interessenausgleich und Abfindungssozialplan (vgl. Heimann/Ryßok-Lösch, a.a.O.) hin zu alternativen Lösungsmodellen.
Dabei nimmt die Bedeutung vo...