Bewirkt der Tod des Stammberechtigten ein „Erlöschen” seiner Flüchtlingseigenschaft (und Asylberechtigung) mit der Folge, dass die davon abgeleitete Familienflüchtlingseigenschaft (und Familienasylberechtigung) gem. § 73a S. 3 (bzw. 2) AsylG widerrufen werden kann? Mit dieser Frage hatte sich das BVerwG in dem Urt. v. 11.10.2023 (1 C 35.22, NVwZ 2024, 172 ff.) zu befassen. Im Streitfall erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) der Klägerin gem. § 26 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 AsylG die Familienflüchtlingseigenschaft – abgeleitet von deren Ehemann – zu (und sie als Familienasylberechtigte an). Nach dem Tod des Ehemannes widerrief das Bundesamt die der Klägerin zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (und deren Anerkennung als Asylberechtigte) – nach Auffassung des BVerwG zu Recht. Denn der Begriff „erlischt” i.S.d. § 73a S. 3 (bzw. 2) AsylG erfasse nicht nur das Erlöschen infolge des Eintritts eines Erlöschensgrundes i.S.d. § 72 Abs. 1 S. 1 AsylG, sondern auch das Erlöschen des internationalen Schutzes infolge des Versterbens des Stammberechtigten.
Dieses weite Begriffsverständnis begründet das BVerwG maßgeblich damit, dass die Flüchtlingseigenschaft ein höchstpersönliches Recht sei, das seinem Wesen nach der Person des Flüchtlings anhafte und weder übertragbar noch erblich sei. Mit dem Tod des Statusinhabers gehe die Flüchtlingseigenschaft unter und nicht im Wege der Gesamt- oder der Einzelrechtsnachfolge auf andere Personen über. Ihr Erlöschen zeitgleich mit dem Ableben des Statusinhabers sei eine Selbstverständlichkeit, deren gesetzliche Regelung weder der Rechtskundige noch der juristische Laie erwarte. Zudem trage die Erstreckung des Begriffs „erlischt” i.S.d. § 73a S. 3 (bzw. 2) AsylG auf den Fall des Todes des Stammberechtigen dem Grundgedanken des Asylrechts Rechnung, dass Schutz nur für den Fall gewährt werde, dass es der Schutzgewährung auch bedürfe. Sowohl der internationale Familienschutz als auch das Familienasyl gründeten maßgeblich auf der regelhaften Vermutung, dass Verfolgerstaaten nicht selten dazu neigten, im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen ein Familienmitglied auch Repressalien gegen dessen Ehegatten oder (minderjährige) Kinder zu ergreifen, und dass diesen in einer solchen besonderen Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit das gleiche Schicksal drohe. Diese Regelvermutung greife indes dann nicht (mehr) ein, wenn der stammberechtigte politische Gegner verstorben sei. § 73a S. 3 AsylG trage einer fortbestehenden Gefährdung eines Familienangehörigen im Einzelfall vielmehr dadurch Rechnung, dass die Zuerkennung des internationalen Familienschutzes nur zu widerrufen sei, wenn dem Ausländer nicht aus anderen Gründen internationaler Schutz zuerkannt werden könnte.
Das beschriebene Normverständnis trage ferner der grundsätzlichen Akzessorietät des internationalen Familienschutzes angemessen Rechnung und beuge einer anderenfalls eintretenden „Versteinerung” des internationalen Familienschutzes vor. Ein Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes infolge des Todes des Stammberechtigten laufe auch nicht den mit der Schaffung dieses Instituts verfolgten integrationspolitischen Zielsetzungen zuwider. Die mit deren Realisierung einhergehende gewisse Verselbstständigung des Status der Familienangehörigen vollziehe sich nicht im Asyl-, sondern maßgeblich im Aufenthaltsrecht durch die Gewährung eigenständiger befristeter und unbefristeter Aufenthaltsrechte.
Schließlich begründeten weder Verfassungs- noch Unions- oder Völkerrecht eine Verpflichtung der BRD, Familienangehörigen eines verstorbenen Stammberechtigten unabhängig von einer diesen drohenden Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens dauerhaft asylrechtlichen Schutz zu gewähren. § 73a S. 3 AsylG trage dem Verbot, den Ausländer in einen Verfolgerstaat abzuschieben, angemessen Rechnung. Er stelle sicher, dass ein Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes nur erfolgen dürfe, wenn die von dem Familienangehörigen vorzubringenden Verfolgungsgründe eine Beibehaltung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu rechtfertigen vermögen. Diese Verfolgungsgründe könnten im Zusammenhang mit der vormaligen Verfolgung des Stammberechtigten stehen und dessen Tod überdauern; sie können aber auch eigenständiger Natur sein. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte seien verpflichtet, entsprechende Verfolgungsgründe im Rahmen der Widerrufsentscheidung zu berücksichtigen. Ein anderes Ergebnis folge nicht aus Vorgaben des Unions- oder des Völkerrechts. Der Tod des Stammberechtigten finde auch hier jeweils keine Erwähnung, weil das Er-löschen in Bezug auf den verstorbenen Stammberechtigten keiner Regelung bedürfe und auch das Unions- bzw. Völkerrecht das Institut des internationalen Familienschutzes nicht kenne.