Erneut (nach den früheren, in ZAP F. 18, S. 1329 ff. berichteten Entscheidungen BSG v. 21.2.2013 – B 10 ÜG 1 u. 2/12 R und BSG v. 27.6.2013 – B 10 ÜG 2–10/13 B) hat sich das BSG inhaltlich mit dem Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren beschäftigt. Dabei hat es die Kriterien für eine solche Entschädigung weiter konkretisiert. In einer Entscheidung vom 10.7.2014 (B 10 ÜG 8/13 R) und mehreren Entscheidungen vom 3.9.2014 (führend B 10 ÜG 12/13 R [Rn. ohne Entscheidungsangabe beziehen sich hierauf], hierzu Loytved jM 2015, 167–169) hat es zunächst (im Anschluss an das BVerwG v. 11.7.2013 – 5 C 23/12 D, Rn. 20–24, hierzu Maidowski jM 2014, 81–84) festgestellt, dass für die Überlänge eines Gerichtsverfahrens das Widerspruchsverfahren unerheblich ist (Rn. 27). Gerichtsverfahren ist das gesamte Verfahren von der Klageerhebung bis zur Zustellung der Entscheidung in der letzten Instanz; trotzdem muss teils auch die Verfahrensdauer in der einzelnen Instanz betrachtet werden (Rn. 24, 28–30). Dabei stellen auch Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren eigenständige Gerichtsverfahren dar (BSG v. 10.7.2014 – B 10 ÜG 8/13 R, Rn. 12, hierzu Stotz, jurisPR-SozR 6/2015 Anm. 6); auch bei diesen kann also Entschädigung oder Feststellung der Überlänge verlangt werden.
Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist anschließend die Bedeutung des Verfahrens für die Klägerseite (Rn. 34–36), die Komplexität des Streitgegenstands in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (Rn. 37), das Prozessverhalten der Klägerseite (Rn. 38–39) und die Prozessleitung des erkennenden Gerichts (Rn. 40–44) einzubeziehen. Zu Recht erwähnt das BSG nicht das Prozessverhalten der Gegenseite als eigenständiges Kriterium für die Angemessenheit der Verfahrensdauer. Dieses Prozessverhalten der Gegenseite kann zwar Einfluss auf die Verfahrensdauer haben. Dies ist jedoch nur inzident im Rahmen der Prozessleitung des Gerichts zu berücksichtigen: Auch in Verfahren vor öffentlich-rechtlichen Gerichten macht sich der Staat als Träger der Justiz erst dann entschädigungspflichtig, wenn das Gericht nicht angemessen prozessleitend auf verzögerndes Verhalten der Gegenseite – und sei diese selbst ein staatlicher oder unter staatlicher Aufsicht stehender Träger – reagiert und das Verfahren dadurch weiter verzögert wird.
Das BSG stellt klar, dass Grundsicherungssachen nicht deshalb untergeordnete Bedeutung zukommt, weil sie nicht im einstweiligen Rechtsschutz verfolgt worden sind (BSG v. 3.9.2014 – B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 32).
Das Kriterium der Prozessleitung konkretisiert das BSG (3.9.2014 – B 10 ÜG 12/13 R) dahingehend, dass das Entschädigungsverfahren nicht dazu dient, die inhaltliche Richtigkeit des Ausgangsverfahrens zu überprüfen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ausgangsgericht ausgehend von seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung seinen weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraum überschritten hat (Rn. 43–44). Erstmals setzt das BSG dafür eine Orientierungsmarke: Zwölf Monaten je Instanz sind als angemessene Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts anzusetzen. Unangemessen wird die Verfahrensdauer erst dann, wenn die Sache mehr als zwölf Monate ohne sachlichen Grund und ohne verfahrensleitende Verfügung unbearbeitet liegt (Rn. 55). Diese Frist steht nicht fest, sondern kann durch andere Umstände des Einzelfalls, etwa Komplexität oder Klägerverhalten, verlängert werden (Rn. 56). Insbesondere sieht das BSG für jeden neuen Schriftsatz der Klägerseite, sofern dieser einen gewissen Umfang überschreitet, eine Verlängerung der Bearbeitungszeit um einen Monat als angemessen an (Rn. 57).
Diese erstmalige Festlegung eines Zeitraums ist zwar begrüßenswert. Weshalb den Gerichten mit ihrer im Vergleich zu Ausgangs- und Widerspruchsbehörden quantitativ viel besseren Personalausstattung gegenüber der Widerspruchsbehörde die vierfache Überlegungszeit (vgl. § 88 Abs. 2 SGG) zugebilligt wird, ist auch angesichts des gegenüber dem Verwaltungsverfahren höheren Richtigkeitsanspruch nicht nachzuvollziehen. Immerhin ist das BSG klägerfreundlicher als der BFH, der eine 24-monatige Nichtbearbeitung für unproblematisch hält (BFH v. 7.11.2013 – X K 13/12, Rn. 69 und 19.3.2014 – X K 8/13, Rn. 17; kritisch zu dieser unterschiedlichen Behandlung in den Gerichtsbarkeiten Loytved jM 2015, 167, 169), während BGH und BVerwG eine Festlegung überhaupt ablehnen (BGH v. 14.11.2013 – III ZR 376/12, Rn. 26; BVerwG v. 11.07.2013 – 5 C 23/12 D, Rn. 30).
Weiter hat das BSG klargestellt, dass ein Entschädigungsanspruch unabhängig von der Erfolgsaussicht des Ausgangsverfahrens besteht (Rn. 59) und hält die Geldentschädigung – ebenfalls im Unterschied zum BFH (v. 17.4.2013 – X K 3/12, Rn. 57; für wenig praxisrelevant sieht dies Loytved an, jM 2015, 167, 169) – für vorrangig gegenüber der bloßen Feststellung der Überlänge (dies vor allem in der Entscheidung BSG v. 3.9.2015 – B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 57).
Für den Entschädigungsanspruch fallen außerdem – selten im Sozialrecht – Prozesszinsen in entsprechender Anwendu...